Gedanken zur Tageslosung am Dienstag, den 9. Juni 2020

von Pfarrer Dr. Friedrich Christoph Ilgner

"Du sollst nicht stehlen." 2. Mose 20,15

 

"Geld ist geprägte Freiheit", hat Dostojewski in seinen "Memoiren aus einem Totenhaus" festgehalten. Es ist eines der berühmtesten Zitate dieses Schriftstellers. Man kann es, aus dem Zusammenhang genommen, in Feuilletons häufig lesen und hören. Meist wird der Besitz von Geld damit etwa in folgendem Sinne gerechtfertigt: Seht, es ist doch irgendwie schön, dass mir mein Geld diese und jene Annehmlichkeit ermöglicht. Daran ist auch gar nichts falsch. Es ist allemal ehrlicher, als das Schwindel-Pathos der Geldverächter (ich muss immer schmunzeln, wenn sich hochrangige Funktionäre "antikapitalistisch" echauffieren), die ihren Sparstrumpf mutmaßlich gerne hätscheln. Eigentlich setzen sie nur ihre Glaubwürdigkeit auf's Spiel.

 

Trotzdem hat das Dostojewski-Zitat von der "geprägten Freiheit" einen doppelten Boden. Es ist abgründig. Warum? Die Handlung der "Memoiren" - es ist kein Roman im eigentlichen Sinne, da es gar keine Handlung gibt, sondern alles "tot" ist - spielt in einem sibirischen Straflager um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Obwohl es bei Strafe verboten ist, Geld zu besitzen, existiert ein lebhafter Handel mit Branntwein, Tee und Tabak. Das Besondere dabei ist, dass das Geld, wie in Zeiten extremer Inflation, wegen des zu befürchtenden Diebstahls oder einer Konfiskation durch sadistisches Wachpersonal möglichst schnell ausgeben werden muss. Das verkehrt das Zitat ins Gegenteil. Geld ist auch geprägte Unfreiheit. Wer einen Silberrubel oder ein paar Kopeken besitzt, ist geradezu gezwungen, sie schnellstmöglich wieder los zu werden.

 

Die "Memoiren" sind berühmt, weil sie sich gleichnishaft für die Welt lesen lassen. Sie illustrieren die verborgene Seite des Besitzes, seinen Fluch. Besitz ist nicht an sich böse. Er ist zu schützen, keine Frage. Aber er wird zum Fluch, wenn er Neid, Geiz, Gier und Begehrlichkeiten aller Art anstachelt.

 

So ist es kein Wunder, dass das 7. Gebot eines der berühmtesten ist. Es hat eine unglaubliche Brisanz, weil die Güter der Welt bei uns eine so hohe Bedeutung haben. Ökonomen weisen darauf hin, dass wir schon bald Entwicklungen entgegen gehen, deren destruierender Gewalt wir uns nicht werden entziehen können.

 

Vorläufig ist das Eigentum noch geschützt. Das bleibt auch wichtig. Es mehren sich aber die Stimmen, die diesen Schutz aufzuweichen suchen. Es sind nicht mehr nur infantile Nachwuchspolitiker, sondern auch Mitglieder des Regierungskabinetts, die komische Dinge erzählen. Diesen ist entgegen zu halten, dass das 7. Gebot das Gut des Nächsten schützt.

 

Aber machen wir uns nichts vor. Das darf uns nicht schrecken und darüber hinwegtäuschen, dass wir unsicheren Zeiten entgegen gehen. Sie werden uns nicht ungeschoren lassen. Darum ist es gut, etwas weiter auszugreifen und schon jetzt einige Gedanken auf den Besitz zu verwenden, welchen Stellenwert er hat oder haben sollte und in welchem Sinne er "geprägte Freiheit" oder "geprägte Knechtschaft" bedeutet. Denn möglich ist beides.

 

Das Neue Testament bietet einige sehr interessante Übelregungen dazu. Sie sind es wert, bedacht zu werden. Christus weist darauf hin, dass es die Gefahr gibt, sich an diese Welt derart zu verlieren, dass nicht wir sie, sondern sie uns besitzt und beherrscht. Der "Mammon" ist geradezu  Widersacher Gottes (Mt 6,24; Lk 16,13). Sein Begleiter ist übrigens die Sorge (Mt 6,25-34). Kommt uns das bekannt vor?

 

Das hat auch mit dem 7. Gebot zu tun. Es zielt auch auf die gläubige Gesinnung ab. Es kann der Fall eintreten, dass wir uns selbst bestehlen um etwas, das wichtiger ist als Geld und Gut.

 

Christus zielt ab auf die "Armut im Geist" (Mt 5,3). Damit ist eine innere Haltung des Herzens gemeint. Armut des Geistes und Milde des Herzens gründen im Gottvertrauen. Sie schlagen auch durch auf unser Verhältnis zum irdischen Besitz.

 

Was bedeutet dies für die Forderung des Apostels Paulus? "Niemand suche das Seine, sondern was dem andern dient." 1. Kor 10,24

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019