"Gott tut große Dinge, die nicht zu erforschen, und Wunder, die nicht zu zählen sind." Hi 9,10
Auch heute sind die Wunder Gottes noch einmal Thema. Das muss ein wichtiges Stichwort sein, wenn es einen um den andern Tag fällt. Immerhin ist sehr umstritten, dass Gott Wunder tut.
Es gehört zum ehernen Arsenal der neuzeitlichen Christentumskritik, die "großen Dinge" und "Wunder" Gottes in Zweifel zu ziehen. Seit dreihundert Jahren sind die klügsten Argumente hin und her gewechselt worden. Mir scheint, sie gehen alle auf ein Gefühl zurück: die Wunder Gottes könne man heutzutage nicht mehr behaupten. Dafür seien wir doch heute zu nüchtern und zu klug.
Berühmt ist die Formulierung Rudolf Bultmanns geworden, der - in bester Absicht - formuliert: "... erledigt sind die Wunder als bloße Wunder - erledigt ist der Geister- und Dämonenglaube. Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparaturen benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben." (Neues Testament und Mythologie, S. 18)
Als erstes fragt sich, ob der Glaube, dass Gott Wunder tut, in eins geht mit dem Glauben an die "Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments". Ich denke nicht.
Er geht auch nicht in eins mit dem Glauben an die "Geister- und Wunderwelt der Gegenwart". Das wäre ja noch schöner. Gegen die Geister- und Wunderwelt der Gegenwart, die, wie mir scheint, voll von Irrationalität ist, nimmt sich die Neuen Testaments vergleichsweise nüchtern aus.
Schließlich geht es bei den Wundern Gottes, ich sagte es schon einmal, auch nicht darum, dass Gott partout beweisen müsste, dass er die Macht hat, eherne kausale Naturgesetze außer Kraft zu setzen. Das hat ja alles mit mir wenig oder nichts zu tun. Es berührt mich gar nicht.
Die "großen Dinge, die nicht zu erforschen und Wunder, die nicht zu zählen sind", wirken entweder in meinem Leben - oder sie gehen mich nichts an. Andere mögen darüber streiten. Man möchte ihnen mit Hiob zurufen: "Ja, ihr seid die Leute, mit euch wird die Weisheit sterben!" (Hi 12,2)
Die Äußerung von den Wundern Gottes stammt aus dem Munde Hiobs. Ich sehe ihn vor meinem inneren Auge in Unglück und Krankheit sitzen. "Gott tut große Dinge, die nicht zu erforschen sind, und Wunder, die nicht zu zählen sind", sagt er. Ist das ironisch gemeint? Oder vielleicht sogar zynisch? Man könnte es im ersten Augenblick meinen.
Aber halt! Wenn doch Gott hinter allem, was geschieht, steckt, dann wird doch dieses "All" auch mich und mein kleines Schicksal umfassen? Dann werde doch auch ich in meiner Situation nicht außerhalb des Schöpfungsganzen stehen? Dann darf auch ich hoffen, Teil der Großartigkeiten und Wundertaten Gottes zu sein? Dann wird die Unbegreiflichkeit meines Schicksals, mir selbst nicht offenbar, in seinem überragenden Regieren mir den Ort verschaffen, an dem ich tun darf, was ich tun soll?
Mancher mag sich fragen: Bin ich nicht kraftlos, unwichtig und ein so kleines Licht, geschlagen und gequält - fast so wie Hiob? Was kann ich schon leisten. Antwort: Wahrscheinlich nichts.
Aber irre dich nicht. Es ist mit dir und mir bei aller Unscheinbarkeit wie mit dem Samenkorn im Reiche Gottes, an dem du teilhaben sollst. Es geschieht über Nacht. Du sollst dich wundern! "Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft und schläft und steht auf, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst - er weiß nicht wie. Von selbst bringt die Erde Frucht." Mk 4,26-28