Gedanken zur Tageslosung am Montag, den 3. August 2020

von Pfarrer Dr. Friedrich Christoph Ilgner

"Den Demütigen wird der HERR Gnade geben." Spr 3,34

 

In einem Urlaub habe ich einmal mit einer feinen, alten englischen Dame darüber geredet, woran es nur liegt, dass die Deutschen bei den Briten keinen besonders guten Ruf haben. Sie suchte eine passende Formulierung. Nach längerem Nachdenken brachte es auf die Formel: "It's just, you are always so terribly right." ("Es ist nur, ihr habt immer so furchtbar recht.") Ich war brüskiert und sagte, das sei aber etwas zu pauschal geurteilt. Da hat sie nur gelächelt. Sie war zu fein, um darauf zu antworten. Seither versuche ich mich und meine Landsleute mit etwas Abstand zu beobachten und habe gefunden, dass an den Worten der alten Dame leider etwas dran ist. Ich habe mich schon oft gefragt, ob dieses merkwürdige Gemisch aus Aufdringlichkeit, Wichtigtuerei, Rechthaberei, Selbstverliebtheit und Sendungsbewusstsein (oder was ist es noch?) die giftige Zerrissenheit des deutschen Volkes und sein gestörtes Verhältnis zu sich selbst so meisterlich hervorbringt. Am Ende ist alles nur ein Mangel an Demut?

 

Das Demütig-Sein ist wahrscheinlich eine hohe Kunst. Neben der offenen Arroganz gibt es eine zweite Unart. Sie begegnet mir vorzüglich in der Welt der so genannten Intellektuellen und Akademiker. Das ist die "scheinbare" Demut. Ich meine eine demonstrativ nach außen gekehrte Demut. Merke: Wer sich demütig gibt, muss es noch lange nicht sein. Hierher gehört auch jene Servilität, die sich in einem Kriechertum und Kratzbuckeln nach der Obrigkeit hin äußert. Solche Demut erzeugt Gefälligkeitsgutachten und lobhudelnde Meinungsmache. Sie dient aber eigentlich dem Ego. Es ist eine besonders unangenehme Erscheinungsform von Hochmut, das zu verstärken und auszuwalzen, was die Mächtigen sowieso schon ständig verlautbaren. So etwas wirkt eher peinlich.

 

Es ist eine feine Beobachtung, dass umgekehrt derjenige, der zuweilen hochmütig erscheinen kann, einen echten Stolz im Leibe trägt und sehr wohl zugleich eine damit verbundene innere Demut haben kann. (vgl. Nicolai Hartmann, Ethik (3. Aufl.), Berlin 1949, S. 476f.) Das wäre etwas Feines. Wie ist eine solche Demut zu erlangen?

 

In der Heiligen Schrift spielt die Demut eine große Rolle. Sie scheint weniger eine Eigenschaft zu sein, als vielmehr eine innere Haltung. Mir scheint, diese Demut anerkennt Gott als Gott. Sie ist Ausdruck des Unterschiedes von Schöpfer und Geschöpf. In dieser Demut gewinnt der Mensch sich selbst, weil er in ein gesundes Verhältnis zu sich als einem begrenzten, endlichen und erlösungsbedürftigen Wesen findet. Ohne Demut verliert er sich im Wahn eigener Übersteiegerungen. Aber die Liebe Gottes, die er für sich gelten lässt, erschafft in ihm den Mut, den es zu einem Leben in ungeheuchelter Demut braucht. So ist die Demut etwas sehr Gutes und Wichtiges.

 

Solche Demut bringt auch das Verhältnis des Menschen zu seinem Nächsten in eine rechte Ordnung. Klassisch formuliert es der Apostel Paulus mit folgenden Worten: "Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den anderen höher als sich selbst." Phil 2,3

 

Was für eine stolze Lebenskunst!

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019