"Der HERR wird Zion wieder trösten." Sach 1,17
Eine der ersten scharfen Auseinandersetzungen, an die ich mich in meinem Leben erinnere, spielt in meiner Schulzeit. Ich war damals vielleicht in der 5. Klasse. Sie dreht sich um das Wort "seid getrost". Anlass war die Vertonung eines Bibelverses, die mit den altertümlichen Worten endete: "... gläubt's und seid getrost, gläubt's und seid getrost!" Ein kritischer Klassenkamerad vertrat die Ansicht, dass das doch wieder einmal typisch für "die Kirche"sei, dass sie solche irrigen Aussagen treffen: "das kannst du getrost glauben, Hauptsache nicht nachdenken, gibt dich einfach zufrieden, wie es ist usw." Er fühlte sich wie ein König in seiner Klugheit. Ich habe es so nicht stehen lassen und würde es auch heute nicht tun.
Man kannte dieses Argument schon in etwa aus der marxistischen Religionskritik, die in meiner Schulzeit unverzichtbarer Bestandteil antikirchlicher Propaganda war. Vielleicht bin ich deshalb so empfindlich gewesen (und geblieben). Mein Schulgenosse konnte jedenfalls nicht verstehen, dass Glaube und Trost auf's engste miteinander zusammenhängen. Er konnte "sei getrost" nur als billige "Vertröstung" auffassen.
Solch eine Marginalisierung, ja Entstellung des Glaubens ist mit dem Untergang des DDR-Staates nicht verschwunden. In leicht variierter Form lebt sie lustig fort. Das kann auch gar nicht anders sein, da wir doch in einer "neomarxistischen Gesellschaft" leben, in der man den "späten Sieg der DDR" an vielen Stellen - wohl nicht zu Unrecht - festgestellt hat. Ich möchte das hier nicht vertiefen.
Aber ich möchte festhalten, dass es uns heute so wenig wie damals irritieren kann. Der Kirche ist der Trost des Glaubens von Anfang an äußerst wichtig gewesen. Das hat seinen guten Grund, denn Christus selbst verweist schon darauf: "Aber der Tröster, der Heilige Geist, welchen mein Vater senden wird in meinem Namen, derselbige wird's euch alles lehren und euch erinnern alles des, was ich euch gesagt habe."(Joh 14,26)
"Lehren" und "erinnern" sind rückbezügliche Worte. Sie aktualisieren etwas im Heute, das Gestern und Vorgestern schon in der Welt war. Eben deshalb steht es in der Gefahr, in allerlei Krimskrams unterzugehen. Die Glaubensinhalte sind eine geschichtliche Sache, die alle Kraft verlieren, wenn sie nicht heute lebendig werden. Es nützt mir der Trost nicht, der in irgendeiner Vergangenheit gespendet worden sein mag. Wer traurig oder verletzt ist, braucht ihn jetzt.
"Veni Sancte Spiritus - Komm Heiliger Geist!" gehört zu den ältesten und beharrlichsten Gebeten der Kirche. Sie hat nie aufgehört, so zu rufen. Dieses Gebet erwächst natürlich aus der Not, dem Schmerz und der Verletzung im Leben. Das gibt es ja, wir alle leiden darunter.
Unser Glaube steht also in einer Spannung. Das hat mich schon die kleine, oben erwähnte Auseinandersetzung gelehrt. Doch niemals gibt der Glaube die Hoffnung preis, dass, wo sich der Heilige Geist schenkt, sogleich der Trost da sein wird: Es ist noch nicht alles zu spät. Das Unheil wird nicht die Oberhand behalten. Dummheit und Frechheit werden nicht obsiegen. Und all die ungesühnten Ungerechtigkeiten - bei mir und anderen, die vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen - werden bei Gott durch die Läuterung des Gerichtes gehen müssen. "Sei getrost und unverzagt!" (5. Mo 31,7)
"Aus großer Todesnot hat er uns errettet und wird er uns erretten; auf ihn haben wir unsere Hoffnung gesetzt." 2 Kor 1,10