Predigt am 1. Advent 2021, Jer 23,1-5
Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, dass ich dem David einen gereichten Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Land üben wird. Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen. Und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird: "Der HERR ist unsere Gerechtigkeit." Jer 23,1-5
Vom König ist die Rede. Ich wollte mich kürzlich ins Bild setzen über die neuesten Entwicklungen in den Familien der gekrönten Häupter aus aller Welt. Dazu muss man die Website eines Boulevard-Mediums, z. B. der SUPERillu aufsuchen, dachte ich. Aber dort überraschte mich nur die Schlagzeile: "Holzkunst aus dem Erzgebirge. Pittiplatsch als Nußknacker." Man kann ihn für 79,90 EUR erwerben. Das ist zwar nicht das, was ich suchte, dachte ich, aber die Richtung ist nicht ganz verkehrt. Vermutlich müsste man die SUPERillu kaufen, um sich über die aktuellen Geschichtchen von Königen, Prinzen, Prinzessinnen sowie Königin-Müttern auf dem Laufenden zu halten. Ich werde das nicht tun, weil ich fürchte, im Ergebnis festzustellen: Bloß gut, dass solche Leute nicht das Sagen haben. Wer hat schon Sehnsucht nach einem solchen Königtum?
Der Prophet Jeremia redet von der Sehnsucht nach einem König. Er überliefert einen Gottes-Spruch, der von einem König in der Nachfolge des großen Königs David handelt. Im Geist sieht er ihn kommen und mit ihm das, woran es den Menschen, Völkern und Nationen dieser Erde bis auf den heutigen Tag fehlt: an Recht und Gerechtigkeit.
Dieser Ruf ist nicht verstummt. So heißt es in einem vergleichsweise neuzeitlichen Lied:
"Herr, lass uns wieder einen König sehen,
bevor die Welt die Könige vergisst.
Denn sonst vermögen wir nicht zu verstehen,
nach welchem Maß man deine Ordnung misst."
Von wem stammt dieses Gedicht? - Es ist der sehnsuchtsvoll-schwermütige Ruf nach einem König in einer König-losen Zeit. Solch ein König, der hier von Gott erbeten wird, wüsste, dass er aus der Gnade Gottes lebt. Er brächte endlich Gottes Maß und Ordnung für eine geschundene Welt auf die Bahn.
Es handelt sich hier um eine Strophe aus den so genannten "Königsgedichten" Jochen Kleppers. Diese "Königsgedichte" sind längst vergessen, obwohl sie sehr schön sind. Sie haben einen melancholischen, aber nicht hoffnungslosen Grundton, der damals gegen die Not und Ohnmacht der freiheitsberaubenden, verbrecherischen Zustände gerichtet war.
Beide Lieder, das des Jeremia und das von Jochen Klepper, haben gemeinsam, dass sie Gott als denjenigen betrachten, der den König sendet und mit Vollmacht ausstattet. Es ist wichtig zu erkennen, dass es keinen rechten König oder Mächtigen in dieser Welt geben kann, wenn er seine Machtfülle nicht mit einem innerlichen Erschrecken als von Gott gegeben begreift. Mir scheint, es gehört zu den Grundproblemen der Gegenwart, dass den Gewaltigen die Gottesfurcht abhanden gekommen ist. Denn alle Macht bedarf der Referenz zu Gott, d. h. sie ist auf ihn hin auszuüben und mit der Frage nach seinem Willen untrennbar zu verbinden.
Das gilt quer durch für jede Art der Machtentfaltung. Es gilt also auch für uns, die wir im Elternamt stehen oder als Vorgesetzte im Beruf oder in einer politischen Verantwortung. Ganz gleich, wo wir unsere Macht ausüben dürfen, wenn wir sie nicht in Referenz zu Gott ausüben, entartet sie, verkehrt sie sich, verselbständigt sie sich unter der Hand in gottloses Tun. Die Sehnsucht nach Christus, dem König von Gottes Gnaden, ist schon aus diesem Grund eine Kampfansage gegen die selbsternannten Herrscher, die eben nur "aus der Welt" sind. Wozu diese selbstherrlichen Gestalten dann fähig sind, erleben wir schreckhaft Tag für Tag auf's Neue.
Ich möchte gern auf einen feinen Unterschied zwischen dem Königswort des Jeremia und dem Königsgedicht Jochen Kleppers hinweisen. Gemeinsam ist ihnen die Betonung des göttlichen Urquells alles Königtums, das ist klar. Aber für ersteren stand das Kommen des Königs noch in ferner Zukunft; in die Vergangenheit dagegen blickt der andere zurück. "Herr, lass uns wieder einen König sehen" kann gar nicht verstanden werden, wenn er nicht schon als da gewesen gewusst wird. "Wieder" und "wieder" soll er kommen und seine Herrschaft aufrichten.
So sagen wir: Einstige Verheißung ist zu lebendiger Vergegenwärtigung geworden. Auf die Teilhabe an der einst offenbarten Königsherrschaft des Messias, den wir klar und gewiß in Christus Jesus von Nazareth erkennen, kommt es an. Alles Recht und alle Gerechtigkeit finden in ihm ihr Maß und ihre Ordnung. In Christus, dem König der Könige, zeigt sich der hohen Adel der Selbstlosigkeit und die Vollmacht heilsamer Ermutigung. Haben wir das schon vergessen?
Unser Glaube an Christus mache uns hier aber ganz gewiss. Christus ist König, ein Gerechter und ein Helfer. Alle "Könige" und Mächtigen der Welt üben ihre Macht nur dann recht aus, wenn sie es unter ihm tun und in ihm das Gegenüber wissen, das sie leitet, richtet und erhält. Dieser Christus spricht "Per me reges regnant" - ("Durch mich regieren die Könige", so auf der deutschen Kaiserkrone nach Spr 8,15). Denn sie haben ja die Macht von ihm empfangen und werden einst die Ausübung dieser Macht vor ihm zu verantworten haben.
Summa: Die Sehnsucht nach einem gerechten und echten König ist immer direkt gegen die schlechten und knechtenden Mächte der Gegenwart gerichtet. Schon die Erwartung des wahren Königs, der in der Vollmacht Gottes kommt, macht die bösen Gewalten der Welt erzittern. Sie mögen das eigentlich nicht.
Wir aber rufen nur desto lauter nach dem Kommen eines wahrhaftigen, wirklichen Königs. Warum? Weil es uns Freude macht. Diese Freude auf einstiges Recht und Gerechtigkeit lässt uns sogar jede Willkür und Ungerechtigkeit ertragen. "Hosianna, dem Sohn Davids. Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn. Hosianna in der Höhe."
Im Namen der Propheten rufe ich euch zu: Bleibt stark! Lasst euch nicht wieder unter das Joch von Welt und Willkür knechten! Haltet euch zu Christus, dem König eurer Seelen! Nur immer hoch den Kopf! Courage! Und tapfer standgehalten!