Predigt Mt 14, 22-33 am 4. Sonntag vor der Passionszeit, den 6.2.2022
Und alsbald trieb Jesus seine Jünger, daß sie in das Schiff traten und vor ihm herüberfuhren, bis er das Volk von sich ließe.
23 Und da er das Volk von sich gelassen hatte, stieg er auf einen Berg allein, daß er betete. Und am Abend war er allein daselbst.
24 Und das Schiff war schon mitten auf dem Meer und litt Not von den Wellen; denn der Wind war ihnen zuwider.
25 Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer.
26 Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, erschraken sie und sprachen: Es ist ein Gespenst! und schrien vor Furcht.
27 Aber alsbald redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, Ich bin's; fürchtet euch nicht!
28 Petrus aber antwortete ihm und sprach: HERR, bist du es, so heiß mich zu dir kommen auf dem Wasser.
29 Und er sprach: Komm her! Und Petrus trat aus dem Schiff und ging auf dem Wasser, daß er zu Jesu käme.
30 Er sah aber einen starken Wind; da erschrak er und hob an zu sinken, schrie und sprach: HERR, hilf mir!
31 Jesus reckte alsbald die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: O du Kleingläubiger, warum zweifeltest du?
32 Und sie traten in das Schiff, und der Wind legte sich.
33 Die aber im Schiff waren, kamen und fielen vor ihm nieder und sprachen: Du bist wahrlich Gottes Sohn! Mt 14,22-33
Vor ein paar Tagen stand ein witziger Spruch im Kalender. Wir haben zu Hause gelacht und uns darüber amüsiert. Er ging so: "Je älter, desto knackiger. Denn es knackt immer häufiger hier und da." Für Menschen gilt der Spruch, wenn sie so langsam in die Jahre kommen. Ob er auch für Staaten gilt? Gilt er auch für Deutschland, ich meinte die BRD?
Das Evangelium, das wir gerade gehört haben, erzählt davon, dass sich Christus zurückzieht. Er muss bei Gott sein, zu ihm beten und mit ihm Zwiesprache halten. Er kann jetzt nicht mit hinaus auf's Meer fahren. Er möchte, dass die Jünger allein in den Kahn steigen. So fahren sie los und Christus fehlt. Warum fehlt er? Wusste er nicht, dass sie in größte Gefahr geraten würden auf dem See und dass sie seiner bedürften wie noch nie zuvor? Es ist doch ein Horror, in eine existenzbedrohende Lage zu geraten und ohne Christus sein zu müssen. Wie soll man da überleben?
Wir sitzen alle im gleichen Boot, nicht wahr? Es ist ein altes Bildwort, das Dasein eine Schiffsfahrt zu nennen. Kein fester Boden unter den Füßen, über Untiefen und gefährliche Riffs und das Ziel nicht klar vor Augen. Was soll das werden? Und im Nu schlägt das Wetter um und zwar so unerwartet, dass man es nicht hat kommen sehen. Man hätte dergleichen nicht für möglich gehalten! Alles wäre gut gegangen, hätte man so gemütlich weiterfahren dürfen. Aber der Dampfer schaukelt und schwankt und es knackt hier und da. Manch einer hat Angst, dass er zerbirst.
Gut, die Jünger fahren in die Finsternis hinein. Es kommt, wie es kommen muss. Die See ist unruhig und das Ufer weit weg. Sie segeln weiter. Als der Sturm stärker wird, holen sie das Segel ein und rundern aus allen Kräften gegen die aufgewühlte See an. Die meisten Jünger kriegen nicht sofort mit, wie bedrohlich die Lage in Wirklichkeit ist. Sie sitzen in der Mitte und wenn es schaukelt, dann hebt es ihnen zwar den Magen, aber sie denken, es geht irgendwie vorbei. Das ist bis heute so.
Einige wenige aber sitzen am Schiffsrand. Es gibt ja immer einige, die am Rand sitzen, irgendwie exzentrisch. Oft sind sie aus dem Zentrum herausgedrängt. Sie sind es, die die bedrohlich heranrollenden Wellenberge zuerst sehen. Sie sind es auch, die die Gischt in voller Ladung abbekommen, die sich am Schiffskörper bricht und über die Reling schlägt, so dass sie bis auf die Haut durchnässt sind. Sie sind es schließlich, die ein unbändiger Wind auskühlt und peinigt. Sie können sich nicht verstecken. Sie sind preisgegeben. So starren sie in die Dunkelheit, sehnsüchtig hoffend, dass es irgendwann vorbei geht. Sie fürchten, dass Christus fehlt.
Sie stecken tief in Angst. Es sieht so aus, als hätten sie allen Grund dazu. Denn da, wo Christus fehlt, müssen sich Lebensangst und Schrecken verbreiten. Und jetzt fehlt er. Es ist so geblieben, dass da, wo Christus fehlt, der ganze Dampfer untergehen muss. Zu der hochgefährlichen Situation von Sturm und Unsicherheit kommt nun noch die Angst vor bösen Mächten hinzu, die im Moment äußerster Bedrohung alles noch schlimmer machen. Wäre Christus da, bestünde Hoffnung.
Der Apostel Petrus ist einer von den Randständigen. Sie sind es wohl auch, die am ehesten sehen, ob mitten in der Not nicht doch Rettung naht. Zunächst ist es nur ein Schemen im Zwielicht. Es heißt, in er vierten Nachtwache wäre jemand mitten in der aufgewühlten See aufgetaucht. Diese kleine Information illustriert auf ihre Weise noch einmal die besondere Not. In antiken Zeiten war die Nachtzeit in zwölf Stunden zu vier Nachtwachen à drei Stunden aufgeteilt. Die vierte Nachtwache wird, je nach Jahreszeit etwas variierend, zwischen drei oder vier Uhr morgens anzusetzen sein. Das heißt, die Jünger sind der Gefahr die ganze Nacht über ausgesetzt gewesen. Lange hätten sie sich nicht mehr halten können.
Also, sie starren und suchen mit den Augen die Dunkelheit zu durchdringen. Sie rufen "Ein Gespenst!" Es ist wohl die einzige Stelle der Heiligen Schrift, an der Christus für ein Gespenst gehalten wird. Da kommt Christus auf sie zu, um sie zu retten, und sie erkennen ihn nicht. Es gehört zu den drastischsten Schilderungen des Neuen Testaments, dass es von ihnen heißt, sie schrien vor Angst. Normalerweise macht die Angst stumm und schnürt die Kehle ab. Aber ich fürchte, ein spätes Stadium, der Verzweiflung nahe, macht, dass der Mensch vor lauter Angst nur noch irrsinnig schreien kann.
Der Apostel Petrus, der am Rande sitzt, ist der Held unserer Geschichte. Er sieht und hört. Auf das Wort Jesu hin steht er auf und geht los. Er wirft ein Bein über die Reling, dann das zweite und geht stracks in das aufgewühlte Meer hinein. Es ist verwunderlich, dass er auf ihm laufen kann. Ich höre den Einwand, dass das gar nicht geht. Ja, das stimmt; aber im festen Glauben auf Christus hat es damals funktioniert. Im Vertrauen auf den, der sagt "füchte dich nicht" und "komm", sind scheinbar Dinge möglich, die nach unserem menschlichen Vorstellungen schier unmöglich sind. Darum heißt der Glaube auch eine verwegene Zuversicht. Erst in dem Moment, wo ihn die Angst wieder beschleicht oder das Enzsetzen vor der eigenen Courage, geht der Mann wirklich unter. Das wollen wir uns merken.
In der Summe möchte ich festhalten, dass das, was der Apostel Petrus erlebt hat, beispielhaft für alle Christgläubigen steht: Christus ist da, auch wenn wir ihn nicht sehen. Er springt uns bei, wenn es am gefährlichsten ist. Im Vertrauen auf ihn gehen wir nicht unter. In unserem Kleinglauben reicht er uns die Hand. Und er zieht uns zu sich ins Leben. Wovor sollte uns noch grauen?