Andacht zur Tageslosung am Donnerstag, den 14. Mai 2020

"Meint ihr, dass ihr Gott täuschen werdet, wie man einen Menschen täuscht?" Hiob 13, 9

 

Charles Maurice de Talleyrand ist einer der erfolgreichsten Staatsmänner aller Zeiten gewesen. In den wechselnden politischen Systemen Frankreichs, durch Revolution, napoleonisches Kaiserreich und anschließender Restauration blieb er an der Spitze, unentbehrlich und unanfechtbar.

 

Er gilt zugleich als der Prototyp eines modernen Politikers. Seine Feinfühligkeit, Intelligenz, Eloquenz, Konsequenz und Anpassungsfähigkeit ist legendär. Er war ein Meister der Täuschung.

 

Noch heute werden seine scharfzüngigen Aphorismen gern zitiert. Hier eine Kostprobe: "Die Sprache ist dem Menschen gegeben, um seine Gedanken zu verbergen." Man fühlt sich glatt ins Heute versetzt. Oder: "Die wichtigste Kunst des Politikers besteht darin, neue Bezeichnungen für alte Einrichtungen zu finden, deren alte Bezeichnungen in der Öffentlichkeit anstößig geworden sind." Ja, er hatte es raus.

 

Hiob, der leidende Gerechte, der geprüft wird von Gott, schmettert den Satz unserer Tageslosung seinen Freunden entgegen. Es ist eine paradoxe Situation: Die Freunde sind eigens angereist, um ihn in seinem Elend und über die erlittenen Schicksalsschläge zu trösten. Die Leutchen meinen es gut. Aber ihre Gründe - grob gesagt: Hab dich nicht so!, Es könnte alles noch viel schlimmer sein! Gott muss einen Grund haben, dich zu strafen! Sei ehrlich, du bist vielleicht doch ein Sünder und verdienst es am Ende gar nicht anders! usw. - verfangen nicht. Sie reden an Hiob vorbei. Sie machen ihn rasend.

 

Sein entrüstetes Gegenargument lautet: Mit dem ,was ihr behauptet, täuscht ihr nicht nur mich, sondern auch Gott. Der ist nicht so, wie ihr ihn darstellt! Der lässt sich nicht täuschen! Zweite Paradoxie: Hiob verteidigt Gott in seinem Elend gegen diese zudringlichen, besserwisserischen und eitlen Erklärungen seiner Freunde.

 

Das ist großartig und rührend zu lesen, mit welcher Reinheit Hiob zu Gott steht, an ihm festhält und ihn verteidigt.

 

Was denken wir über Gott? Haben wir auch ein fein zisiliertes Kommunikations-Instrument nach Art eines "ARD-Framing manual" in Benutzung (vgl. https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2019/02/framing_gutachten_ard.pdf), mit dem wir unsere Stellung Gott gegenüber verbaliter halten, ausbauen und erweitern? Das ist eine ernste Frage an jeden von uns.

 

"Erforscht euch selbst, ob ihr im Glauben steht; prüft euch selbst! Oder erkennt ihr an euch selbst nicht, dass Jesus Christus in euch ist?" 2 Kor 13, 5

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019