"Deine Hände haben mich gemacht und bereitet; unterweise mich, dass ich deine Gebote lerne." Ps 119,73
In den letzten Jahren meiner Schulzeit hatte ich einen Kunstlehrer, der selbst ein Künstler war. Er malte abstrakte Bilder. Wenn er gute Laune hatte, plauderte er über seine Kunst. Ich erinnere mich, dass er bei einer solchen Gelegenheit einmal einen Gedanken äußerte, der mir in der Erinnerung blieb. Damals schwante mir erstmals, dass es mit der modernen, abstrakten Kunst mehr auf sich haben müsse als ich bis dahin dachte.
Er eiferte also wider die gegenständliche Malerei. Was bedeute sie schon? Was wäre damit gewonnen, ein fotographieähnliches Produkt zu erzeugen, das im Grunde nur schlechter sein könne als ein Foto usw.? Dann guckte er in die Luft, als fielen ihm nicht sofort die richtigen Worte für einen passenden Vergleich ein. Schließlich sagte er: "Gegenständlich zu malen ist so, als beschriebe man den Kuss eines Liebespaares nach dem Austausch von Bakterien zwischen ihm und ihr. Das Eigentliche und Wesentliche eines Kusses ist damit verfehlt, obwohl man einen Kuss streng wissenschaftlich und korrekt auch als gegenseitige Verseuchung beschreiben kann. Aber wen interessiert das? Wäre die Analyse von Millionen von Bazillen die angemessene Art, das zu erfassen, was sich in dem Kuss dieses Liebespaares ausdrückt?"
Unser Losungswort bekennt Gott als Schöpfer des Menschen, und zwar in einem doppelten Sinn. Dass seine Hände "mich gemacht und bereitet" haben, knüpft an die Erschaffung Adams und Evas an. Gott wird als Bildhauer geschildert, der den Menschen höchst kunstvoll aus Ton formt und ihm den Lebensodem einhaucht. Damit aber noch nicht genug, denn als Fortsetzung dieser Schöpfung wird die Unterweisung durch ihn genannt. Gott soll wie ein Lehrer die Gebote vermitteln, die zum Leben helfen, ja dieses Leben erst möglich machen. Sonst versinkt es im Chaos wie die Schöpfung auch im Chaos versänke, in Staub zerfiele und haltlos implodierte, wenn sein Geist sie nicht in jedem Augenblick im Sein erhielte.
Es ist mir aufgefallen, dass die Sicht, die Welt als göttliche Schöpfung zu betrachten, heutzutage aggressiv bekämpft wird. Ich weiß nicht recht, aus welchen Quellen sich die erbitterte Gegnerschaft speist. Es werden wahre Strafexpeditionen gegen das so genannte "Intelligent Design" als "Pseudowissenschaft" oder "Junk Science" geführt. Die verbissene Aggression schwappt - wie der aufdringliche Genderismus und sonstige Besserwisser-Exzentritäten - aus dem verrückten Amerika auch nach Deutschland hinüber. Sie erscheint mir unangebracht. Selbst wenn man der Meinung, dass bestimmte Eigenschaften des Universums und des Lebens auf der Erde sich nur durch einen intelligenten Urheber erklären lassen, nicht zustimmt, muss man Anhänger dieser Sichtweise nicht unverschämt beschimpfen oder gar kriminalisieren. Das ist doch etwas peinlich.
Das ist vor allem auch einseitig. Selbst wenn manches für die Urknalltheorie und Evolutionstheorie sprechen mag (manches spricht bestimmt auch dagegen), fragt sich, ob in Betrachtung des Wunders des Menschen, der Natur, der Welt und des Universums, solche Sichtweise die einzige, die richtige, die notwendige und die ausschließliche zu sein habe. Da möchte ich nachdrücklich widersprechen.
Das Eigentliche, das Wesentliche und das Unverzichtbare der Betrachtung des Geschöpfes besteht in der Beziehung zu seinem Schöpfer. Es bleibt von höchster Wichtigkeit, dass er selbst ihm, im Bilde gesprochen, den Odem einbläst. Es tut mir leid, wenn jemand nicht verstehen kann, dass das in Wahrheit bedeutet, dass Gott den Menschen küsst, indem er ihm seinen Lebensodem schenkt. Und was soll ein Kuss anderes sein, als ein Zeichen für den Strom der Liebe, die durch uns hindurch dem Nächsten gilt?
"Und das ist sein Gebot, dass wir glauben an den Namen seines Sohnes Jesus Christus und lieben uns untereinander." 1 Joh 3,23