Mose sprach zum Volk Israel: "So halte nun die Gebote und Gesetze und Rechte, die ich dir heute gebiete, dass du danach tust. Und wenn ihr diese Rechte hört und sie haltet und danach tut, so wird der HERR, dein Gott, auch halten den Bund und die Barmherzigkeit, wie er deinen Vätern geschworen hat." 5. Mose 7,11-12
Es ist in diesem Jahr ein Buch des Schriftstellers Markus Orths erschienen. Ich habe durch Zufall davon gehört und bisher nur einige Rezensionen lesen können. Es heißt "Picknick im Dunkeln" und handelt von der fiktiven Begegnung zweier völlig gegensätzlicher Menschen in einem stockdunklen Tunnel.
Der eine ist der Komiker Stan Laurel (Stanley Jefferson). Man kennt ihn als den schmächtigen, linkischen Burschen aus den kurzen Filmsquenzen "Dick und Doof" der 1920er Jahre. Der andere ist der berühmte Dominikanermönch Thomas von Aquin aus dem 13. Jh.
Die beiden, die hier fiktiv aufeinander treffen, könnten verschiedener nicht sein. Der eine ist schmächtig, der andere dickleibig. Der eine agnostisch, der andere fromm. Der eine lustig, der andere soll seit seinem fünften Lebensjahr nicht mehr gelacht haben. Der Roman, der nur aus dem Gespräch im stockdunklen Tunnel besteht, bringt die beiden zusammen, nähert sie einander an, lässt sie sich im je anderen finden. Der eine entdeckt die Kraft des christlichen Glaubens, der andere die des Lachens und der Lebensfröhlichkeit durch das Gegenüber. Gegen Ende gibt es ein Kapitel, das nur aus zwei Sätzen besteht. "Schluss mit dem Tod. Am Ende bleibt das Leben."
Das Besondere ist, dass der eine den anderen aus der schmerzhaften Einsamkeit, in der jeder steckt, herausreißt. Es ist wahr (und jeder weiß es im Grunde auch), dass der Mensch ein auf Gemeinschaft hin angelegtes Wesen ist. Er kann und will nicht allein vor sich hinleben. Dann ersteht in seinem Inneren ein unerträgliches Chaos. Die großen Philosophen des Altertums nannten den Menschen ein Zoon politikon, ein in Gemeinschaft Lebendiges.
Im Grunde liegt das auf der Hand. Schon die ersten Kapitel der Bibel setzen diesen Akzent, wenn sie von der Erschaffung des Menschen als Mann und Frau erzählen. Auch die finden einander in Gemeinschaft. Sie schließen einen Bund, eben den Ehebund, in dessen Folge sich der Strom des Lebens fortsetzten kann. Dieser Bund ist Teilhabe an der Schöpfungsordnung. Hier entsteht ein Schutzraum der Gemeinschaft, den wir Familie nennen. Die Familie ist ein Abglanz des Paradieses als Ort der Geborgenheit und der Lebendigkeit.
Die Worte des Mose an sein Volk setzten den Rahmen des Lebens in Gemeinschaft noch viel weiter. Sie benennen ihn noch viel grundsätzlicher. Sie dehnen ihn auf Gott aus. Hier ist der Gemeinschaftsgedanke letztgültig verankert.
Das Volk Israel ist berühmt dafür, dass es sein Verhältnis zu Gott als einen Bundesschluss beschreibt. In genau diesem Zusammenhang stehen die Worte des Mose, die wir lasen. Eben hat er die zehn Gebote Gottes, die er auf dem Sinai empfing, übermittelt. Jetzt erinnert er das Volk daran, was es bedeutet, mit Gott einen Bund zu schließen.
Es ist wichtig, dass das Volk daran erinnert wird. Wir Menschen sind vergesslich. Dass wir in Bezügen stehen, die verbindlich sind, entgleitet unserem Gedächtnis gern und oft. Dass andere uns gegenüber in der Pflicht sind, vergessen wir nicht so oft. Hier pochen und beharren wir auf unserem Recht. Dass Gott schuldig sei, wenn er dies und das nicht in unserem Sinne regelt, kommt uns schnell zu Sinn. Das ist kurios.
Es gibt ein großes Glück im Leben der Menschen. Dieses Glück besteht darin, dass Gott und Mensch wechselseitig einander verbunden sind und bleiben dürfen. Dafür sorgt Gott selbst. Wir Menschen haben, wie gesagt, die Tendenz, das eher etwas lockerer zu sehen. Aber Gott bleibt hartnäckig. Mose benutzt eine interessante Formulierung: Gott, sagt er, hält "den Bund und die Barmherzigkeit".
Das lässt uns stutzen. Denn der Gedanke des Bundes klingt nach Strenge, Konsequenz und Durchsetzung eines begründeten Anspruchs. Barmherzigkeit aber nach Langmut, gutem Zureden und einladendem Werben. "Bund und Barmherzigkeit" - geht das im Handeln Gottes zusammen?
Ja, das ist ja gerade das Wunder - Bund und Barmherzigkeit, die sich nach menschlich-allzu-menschlicher Auffassung eher ausschließen, gehen bei Gott zusammen. Als nämlich alles Zureden und geduldiges Erinnern nicht mehr half, schenkte er sich selbst in Jesus Christus als Mensch schmerzhaft in die Welt, damit wir es begriffen. Haben wir es begriffen?
Gott wollte nun einmal nicht allein bleiben. Er hatte eine große Sehnsucht. Es fehlten ihm seine Menschen. Es dauerte ihn, dass der Mensch sich in Hilflosigkeit und Einsamkeit verliert, wenn er ihn vergisst.
Gott wird zu Gott, indem er das Chaos, in dem es wüst und leer ist, verlässt und sich selbst in seinem Geschöpf gewinnt. So hat er es gewollt. Uns Menschen bleibt er in Bund und Barmherzigkeit verbunden. Christus ist der Beweis dieser barmherzigen Verbundenheit. In der Gemeinschaft mit uns Menschen gewinnt sich Gott selbst.
Der Mensch aber wird zum Menschen, indem er Gemeinschaft gewinnt mit Gott. Auch er gewinnt sich selbst in dieser Gemeinschaft. In Gott hat er jemanden gefunden, der ihm - anders als so oft bei seinen Mitmenschen - unverbrüchlich treu in seinem barmherzigen Bund zur Seite steht.
Hier dulden wir keine Einrede. Dies halten wir fest als allergewisseste Gewissheit. Von Gott her fließt uns Kraft zu gegen alle Bedrohungen der Sinnlosigkeit unseres Treibens auf dieser Erde. Ja mehr noch, in der Gemeinschaft mit ihm finden wir in unserem Herzen wieder Raum für jene übermütige Fröhlichkeit und Schelmerei, die das Leben so schön macht. Das verleihe uns der Allmächtige. Amen.