"Seid stille vor Gott, dem HERRN, denn des HERRN Tag ist nahe." Zef 1,7
"The City That Never Sleeps" ist eine Umschreibung für New York City. Ich glaube, es ist anerkennend oder gar liebevoll gemeint. Aber im Grunde ist es eine schreckliche Vorstellung, dass es in einer Stadt zu keiner Zeit mehr still wird. Das muss eine monströser Ort sein, wo immer Geschäftigkeit, Lärm und übernächtigte Gesichter zu finden sind. Dort ist das Leben aus dem Gleichgewicht geraten. Ich will dort nicht sein.
Es gibt Zeiten, in denen uns der Alltagslärm besonders auf die Nerven geht. Jeder weiß es, lärmende Geschäftigkeit macht krank. Dann hat der Mensch eine Sehnsucht nach Stille. In Dresden ist es wenigstens in der Nacht zwischen ein und vier Uhr noch weitgehend still. Manchmal liege ich wach und lausche in die Stille hinein. Es ist schön, dass die Amseln in den Gärten noch vor dem Busverkehr am Wasaplatz zu hören sind. Doch dann geht auch vor unserer Tür das Lärmen los und währt den ganzen Tag. Es ist klar, das kann nicht anders sein.
Die Städte sind in mancher Hinsicht Abbild unseres Inneren. Die äußere Bewegung entspricht weitgehend der inneren. Es kostet Kraft, sich dieser Rastlosigkeit zu entziehen. Oft gelingt es gar nicht. Als wäre das nicht schon genug, werfen wir uns unversehens in ein lärmendes Geplapper von Radio und Telefon, Büros und Kanzleien, Geschäften und Verhandlungen aller Art, begleitet von flimmernden Bildschirmen und grellen Werbesprüchen. Von Stille kann für die meisten keine Rede sein. Ein Freund erzählt mir, dass er neuerdings an einem Tinnitus leidet, einem hohen, grellen Pfeifen, das gar nicht mehr aufhört. Wir werden krank über dem äußeren und inneren Lärm.
Ist es ein Wunder, dass eine Zeit wie die unsere, die es sich hoch anrechnet, nicht mehr zur Ruhe zu kommen, die Stimme Gottes nicht mehr hören kann und will? Selbst wenn sie sich Zeit dazu nähme (sie nimmt sie sich aber nicht, weil sie sie nicht mehr hat), hörte sie ihn wegen der pausenlosen Lärms und wegen des pfeifenden Tinnitus nicht. Denn zum Hören braucht es nun einmal Stille.
In einer Predigt des Eckhart von Hochheim, den ich kürzlich schon einmal erwähnte, lese ich folgende Worte: "'Inmitten des Schweigens ward mir zugesprochen ein verborgenes Wort.' (Weisheit 18,14-15) Ach, Herr, wo ist dies Schweigen, und wo ist die Stätte, in der dieses Wort gesprochen wird?"
Eckhart hat eine schöne Antwort. Er sagt, dieser Ort sei "in dem Lautersten ..., in dem Edelsten, in dem Grunde, ja in dem Wesen der Seele" eines jeden Menschen. Die Seele beschreibt er als einen Ort, in den Bilder aller Kreatur, d. h. alles Geschaffenen, hineinfallen. Die Seele zieht sie geradezu in sich hinein. Aber ganz im Grunde bleibt sie frei für die Erkenntnis Gottes. Dazu ist sie eigentlich geschaffen.
Seine Leser "... sollen nun erfahren, dass das Allerbeste und Alleredelste, wozu man in diesem Leben kommen kann, das ist, dass du schweigst und Gott allda wirken und sprechen lässest."
Er fordert uns mit ganz wunderbaren, poetischen Worten dazu auf, unsere Seele frei zu machen für das Hören des Gotteswortes. "Und darum, so du alle Kräfte allermeist einziehen kannst und in ein Vergessen aller Dinge und ihrer Bilder geraten, die du je in dich zogst, und je mehr du der Kreatur vergissest, umso näher bist du diesem [Gott] und umso empfänglicher. Könntest du aller Dinge zumal unwissend werden, ja könntest du in ein Unwissen deines eigenen Lebens kommen, ... so sollte der Mensch allen Sinnen entweichen und all seine Kräfte nach innen kehren ..." (Predigt "Vom Schweigen" in: Meister Eckharts Mystische Schriften, Berlin 1903)
So alt diese Worte sind, so wahr sind sie. Ich weiß natürlich, dass es uns nicht möglich ist, von jetzt auf gleich Ernst zu machen mit solcher Praxis. Das Leben stünde Kopf. Aber es müssen sich unbedingt Zeiten finden, in denen wir uns in einer wohltuenden Stille sammeln. Mindestens am Sonntag. Ob es uns gelingt, wieder mehr in die Kirchen zu gehen? Sie sind als Ort der Stille gemeint, in denen Gott heilsam zu unserer Seele redet.
"Wer Ohren hat zu hören, der höre!" Mk 4,9