"Ich sprach, da ich weglief vor Angst: Ich bin verstoßen aus deinen Augen. Doch du hast mein lautes Flehen gehört, als ich zu dir schrie." Ps 31,23
Das "Little-Albert-Experiment" ist ein klassisch gewordenes psychologisches Experiment, das 1920 an der Johns-Hopkins-Universität durchgeführt wurde (die heute in Punkto Angst auch noch von sich Reden macht). Es ist im Detail umstritten, aber in seiner Grundaussage klar: Einem elfmonatigen Kleinkind, genannt "Little Albert", wurden Angst antrainiert. Man ängstigte ihn, indem man mit einem Hammer hinterrücks auf eine Eisenstange schlug. Zugleich zeigt man ihm eine weiße Ratte. Das Ergebnis war, dass "Little Albert" vor der Ratte Angst bekam. Darüber hinaus ängstigte ihn alles, was ein weißes Fell trug, auch wenn der Lärm des Hammerschlages nicht erklang. Angeblich hatte er nun Angst vor weißen Hunden, Hasen, Pelzmänteln, sogar weißen Bärten usw. Das "Little-Albert-Experiment" ist nicht abgeschlossen worden, weil der Knabe dem klugen Professor aus dem Blick kam. Man sucht noch heute nach ihm, um zu ermitteln, ob dieses frühe Erlernen der Angst (klassische Konditionierung) eine lebenslange Prägung verursachte und die Persönlichkeit dauerhaft veränderte.
Vermutlich hätte es "Little Albert" nicht geholfen, hätte man ihm gesagt: "Du brauchst doch keine Angst zu haben." Denn dieses Grundgefühl gehorcht dem Verstand nicht. Es ist einfach da. Wäre es nicht das weiße Fell gewesen, dann eben etwas anderes. Ich vermute, es hätte sich etwas gefunden. Jeder Mensch hat eine eigene Angst, diffus, unerklärlich und unvordenklich. Das unterscheidet sie von der Furcht, die, nach landläufiger Auffassung, einen benennbaren Grund hat (Prüfungen, Operationen, gefährliche Begegnungen usw.) und darum leichter überwunden werden kann.
Man sagt, es gäbe auch einen guten Grund, Angst zu haben. Sie reagieet auf eine Bedrohung des Körpers, der Selbstachtung oder des Selbstbildes. Hier werde deutlich, wie eng Leib, Geist und Seele zusammenhängen. Angst schütze vor Leichtsinn und gefährlichen Situationen. Angst bereite den Menschen vor auf eine Kampf- oder Flucht-Situation (fight or flight).
Das alles haben schlaue Psychologen herausgefunden. Es ist bestimmt wahr. Unser Psalmvers redet ja auch eindrücklich davon, geht aber noch darüber hinaus. Er deutet in einem ersten Reflex die Angst geistlich - und erliegt einem Trugschluss. Das ist eine naheliegende, aber gefährliche Wendung: "Ich bin verstoßen aus deinen Augen". Die Formulierung legt nahe, die Angst als Ausdruck des Gottesentzuges, der Gottesferne oder der gar der Gottesstrafe zu verstehen.
So verständlich dieser erste Gedanke ist, so falsch ist er. Dem Gläubigen, nach dem die Angst greift, der, wie alle Menschen, im ersten Augenblick panisch flüchtet oder sich in sich selbst zurückzieht, dem wird sogleich einfallen, dass er mit Gott verbunden ist im Gebet. Er weiß, dass sein Angstschrei nicht ungehört im Nichts verklingen wird. Er wird aus dem Vertrauen zu Gott Hoffnung schöpfen, dass der alles wenden kann. Wer, wenn nicht er!
Das zeichnet das Leben des Gläubigen aus. Er erstarrt nicht in Verzweiflung. Er ist nicht frei von Angst, wie sollte er das sein? Aber er spricht: "Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe? - Meine Hilfe kommt vom HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat." (Ps 121, 1-2) Dann erhebt er seine Stimme und ruft Gott an um Hilfe und Erlösung von der Angst.
Ganz so wie der blinde Bartimäus. Das beeindruckende an diesem Manne ist, dass er sich den Mund nicht verbieten ließ: "Am Wege saß ein blinder Bettler, Bartimäus, der Sohn des Timäus. Und als er hörte, dass es Jesus von Nazareth war, fing er an zu schreien und zu sagen: Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Und viele fuhren ihn an, er sollte schweigen. Und Jesus blieb stehen und sprach: Ruft ihn her!" Mk 10, 46-48.49