"Abram zog aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte." 1 Mose 12,4
"Ausgesetzt im Nirgendwo. Franziska und Felix kündigten ihre Wohnung, verkauften das Auto und machten sich auf Weltreise. Ihr größtes Abenteuer: ein Fußmarsch durch die Leere der mongolischen Wildnis mit den heimischen Nomaden." So vermeldet das neue Globetrotter-Magazin (Herbst 2020, Ausgabe 19, S. 74)
Es gibt Leute, die solche verrückten Sachen machen. Tun sie dies aus Not? Nein, es ist scheinbar schick und die Suche nach dem besonderen Kick, um einem als eintönig, konventionell und also langweilig empfundenen Leben zu entkommen. So hat sich in unsern Zeiten ein Pathos der Entwurzelung herausgebildet, das keinen Wert mehr auf Bindung, Herkunft oder Heimat legt. Was steht dahinter? Die Vision eines Globalbürgers, der auf ein Ankommen verzichtet, weil er meint, überall zu Hause zu sein? Ich weiß es nicht. Es ist mir jedenfalls zutiefst fremd.
Hat das was mit Abram zu tun? Wohl kaum, denn der ist aus anderem Holz geschnitzt. Es versteht sich von selbst, dass er kein modischer Globaltourist ist.
Was ist er dann? Die Deutung seiner Person als Flüchtling und Fremder ist ebenfalls in aller Munde aus allzu durchsichtigen zeitgeistlichen Gründen. Aber Abram ist auch kein Flüchtling. Er verlässt seine angestammte Heimat nicht, weil er in ihr aus irgendeinem Grunde nicht mehr leben kann. Er wird auch nicht vertrieben durch feindliche Kräfte oder Katastrophen. Er wandert auch nicht aus, weil ihm die herrschend Ideologie als Nötigungen in ihrer Verlogenheit so widerwärtig geworden wäre, dass er meint, es nicht mehr aushalten zu können. Abram geht, von außen betrachtet, freiwillig und ohne Not.
Wenn es doch eine Not gewesen sein sollte, die ihn zur Wanderschaft trieb, dann war es eine innere. Es war das Gotteswort, das er vernahm und der unbedingte Wille, ihm zu gehorchen. Dieses Wort erging in einer lakonischen Direktheit, die ihresgleichen sucht: "Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will." (Gen 12,1) Mit diesem Satz beginnen die so genannten Vätergeschichten (Gen 12-36).
Gleich zu Beginn gibt der HERR auch den Grund an, um des willen Abram mit den Seinen losziehen soll. Und das ist nun interessant. "Ich will dich segnen ... und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden." (Gen 12,3) Die Vätergeschichten, die sich aus diesem Motiv über vier Generationen hin entspinnen, erzählen, wie dieser göttliche Segen sich souverän durch alle Bedrängnis und Gefahr hindurch schließlich verwirklichen wird. Im Segen wird dem Abram ein Ankommen verheißen.
Das ist sehr wichtig. Sieht man das nicht, verwischt sich der Sinn seines Unterwegsseins. Sein Ziel ist nicht die Wanderschaft als Selbstzweck, sondern das Geführt-Werden zu einer neuen Heimat. Segen bedeutet bei ihm ganz eindeutig und ausdrücklich die Verwirklichung des Versprechens eines Landes (in dem Milch und Honig fließen), eines Sohnes und dessen Nachkommen (zahlreich wie die Sterne am Himmel) und der Gottesnähe auf Schritt und Tritt. So wird im Segensvollzug aus Abram auch Abraham, der "Vater der vielen" (Gen 17,5).
Um die Verheißung des Ankommens, der Verwurzelung, des nach-Hause-Kommens geht es in der Geschichte Abrahams. Hier sind wir ihm nahe. Diese Sehnsucht ist je länger desto mehr die unsere auch. Denn leben wir nicht in einer Welt, die uns fremd geworden ist, seit wir das Paradies er Kindheit und Geborgenheit verließen? Der Segen Gottes bedeutet auch für uns, dass wir unterwegs zu unserer Heimat sind. Gleich Abraham sind wir der festen Überzeugung, dass uns Gott zu seinem Ziel führen wird.
"Erst die Fremde lehrt uns, was wir an der Heimat besitzen." (Wanderungen,Vorwort von 1861) Dieses schöne Fontane-Wort möchte gern auf die geistliche Heimat ziehen. Denn wir sind Abrahams Kinder nicht nach dem Fleisch, sondern nach dem Geist. Darum schreibt der Apostel Paulus: "Die aus dem Glauben sind, das sind Abrahams Kinder." Gal 3,7