Predigt am 3. Sonntag nach Epiphanias, den 24. Januar 2021, Rut 1,1-17

von Pfarrer Dr. Friedrich Christoph Ilgner

Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Der HERR tue mir dies und das, nur der Tod wird mich und dich scheiden. Ruth 1,16-17

 

Ich erinnere mich an drei kleine Gesprächsfetzen aus den letzten zwei Wochen. Ich möchte sie hier unkommentiert stehen lassen. Ich gebe sie wieder, wie ich sie in Erinnerung habe.

 

Ein Gemeindeglied erzählt mir von einer befreundeten Schwester auf einer Intensivstation, die gesagt habe, sie glaube, dass die meisten Kranken auf ihrer Station wohl weniger an der Virusinfektion als vielmehr an völliger Vereinsamung sterben. Wer dort lande, hätte es mit unkenntlich gewordenen, vermummten Wesen von einem anderen Stern zu tun, die sich wie Roboter oder Aliens um sie herumbewegten.

 

Zweitens erzählte mir ein anderes Gemeindeglied, das in einem Altenheim arbeitet, dass es den Heimbewohnern eigentlich und offiziell erlaubt sei, einen Angehörigen pro Tag für eine halbe Stunde zu empfangen. Das komme aber nur sehr selten vor, dass davon Gebrauch gemacht würde. Ein alter Herr hätte am Freitag gefragt, ob denn nicht bald Sonntag sei. Denn da würde seine Frau immer anrufen.

 

Drittens, zur Zeit darf man bekanntlich Krankenhäuser nicht betreten, um Angehörige zu besuchen. Wieder ein anderes Gemeindeglied, dessen Ehehälfte eines Unfalls wegen im Krankenhaus liegen musste, erzählte mir spitzbübisch, dass es gelungen sei, die Schwestern der Station mit geeigneten Freundlichkeiten zum Wegsehen zu bewegen. Da hätte man ganz ganz unbemerkt ins Krankenzimmer schlüpfen können.

 

Zu unserer Geschichte. Das Buch Rut ist nur vier Kapitel lang. Ich habe es mit großer Freude und innerer Bewegung gestern durchgelesen. Man schafft das in 20 Minuten. Eine Leseempfehlung für heute Nachmittag oder Abend. Das Thema ist zeitlos.

 

Diese kurze Novelle, deren unglückliche Heldinnen die junge Rut und ihre alte Schwiegermutter Noomi  sind, spielt um 1000 v. Chr. und gibt einen Einblick in die Härten des damaligen Lebens. Jedes Leben hat seine eigenen Härten, damals wie heute. Zugleich weist die Geschichte aber auf die einzige Möglichkeit hin, diese Härten zu mildern, ja zu überwinden. Das ist, unabhängig von den völlig veränderten Lebensumständen unserer Tage, die wichtige Botschaft dieses uralten Buches.

 

"Dein Gott ist mein Gott", sagt Rut zu ihrer Schwiegermutter. Dieses Wort ist der Dreh- und Angelpunkt für die ganze Geschichte. Sie sagt damit: Wir haben hier ein unzerreißbares Band, das uns beieinander hält. Wir wissen nicht, warum wir ins Unglück gekommen sind durch den Tod unserer Männer. Aber um der Treue Gottes willen, der auch unsere Treue bewirkt, bleiben wir beieinander und gewinnen unsere Zukunft. Diese Zukunft sieht zunächst aus wie der Tod. Davon redet Rut auch, vom Sterben und Begrabenwerden. Der Tod ist der Horizont, den wir Menschen sehen. Wir sehen immer nur bis zum Tod.

 

Gott sieht immer darüber hinaus. Gott sieht immer über den Tod hinaus. Die Novelle von Rut und Noomi ist ein Heilmittel gegen alle existenzielle Schwarzmalerei und gegen alle bittere Gefährdungsprognosen. Das können wir in unseren Zeiten gar nicht deutlich genug betonen.

Rut legt eine gläubige Überlegenheit gegen die Gefährdung an den Tag. Das Heilmittel, das sie wählt, ist nicht die eigene Sicherheit. Die hätte sie in ihrem Vaterhaus eher und schneller gefunden. Dort hätte sie ein Witwenbrot gegessen bis zu ihrem eigenen Tode.

 

Rut aber wählt nicht den einfachen, aber falschen Weg. Getragen von Gottvertrauen wählt sie den einzigen Weg, die Härten des Lebens zu überwinden. Es ist der Weg der menschlichen Nähe, der menschlichen Beziehung und des menschlichen Miteinanders.

 

Und wie wandelt sich die völlig aussichtslose, unmögliche Situation der beiden Frauen! Mit Treue, Tapferkeit und Tatkraft bleiben sie beieinander und lassen Gott schalten und walten. Was geschieht da plötzlich? Mit Charme und Witz wendet sich das Leben in eine gute Bahn. Sie gewinnen nicht nur eine neue Heimat, sondern in Boas einen Löser, der Rut heiratet, von dem sie einen Sohn bekommt. So ist Rut schließlich zur Urgroßmutter des legendären Königs David geworden. Sie zählt neben Thamar, Rahab und Bathseba zu den vier großartigen Stammmüttern Jesu von Nazareth (vgl. Mt 1).

 

Wo wir das einigende Band erkennen, dass mein Gott ja auch dein Gott ist, stehen wir zusammen und lassen uns von Gott durch Schmerz und Entsagung hindurch mit Treue, Tapferkeit und Tatkraft in eine gute Zukunft führen.

 

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die Völker Europas zum dreieinigen Gott zurückfinden müssen, ansonsten verlieren sie sich selbst. "Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht." (Jes 7,9)

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019