Predigt am Tag der Apostel Petrus und Paulus, den 29. Juni 2021, Gal 2,2-10

von Pfarrer Dr. Friedrich Christoph Ilgner

Ich zog aber hinauf aus einer Offenbarung und besprach mich mit ihnen über das Evangelium, das ich predige unter den Heiden, besonders aber mit denen, die das Ansehen hatten, auf daß ich nicht vergeblich liefe oder gelaufen wäre. Aber es ward auch Titus nicht gezwungen, sich beschneiden zu lassen, der mit mir war, obwohl er ein Grieche war. Denn da etliche falsche Brüder sich mit eingedrängt hatten und neben eingeschlichen waren, auszukundschaften unsre Freiheit, die wir haben in Christo Jesu, daß sie uns gefangen nähmen, wichen wir denselben nicht eine Stunde, ihnen untertan zu sein, auf daß die Wahrheit des Evangeliums bei euch bestünde. Von denen aber, die das Ansehen hatten, welcherlei sie weiland gewesen sind, daran liegt mir nichts; denn Gott achtet das Ansehen der Menschen nicht, mich haben die, so das Ansehen hatten, nichts anderes gelehrt; sondern dagegen, da sie sahen, daß mir vertraut war das Evangelium an die Heiden, gleichwie dem Petrus das Evangelium an die Juden (denn der mit Petrus kräftig gewesen ist zum Apostelamt unter den Juden, der ist mit mir auch kräftig gewesen unter den Heiden), und da sie erkannten die Gnade, die mir gegeben war, Jakobus und Kephas und Johannes, die für Säulen angesehen waren, gaben sie mir und Barnabas die rechte Hand und wurden mit uns eins, daß wir unter die Heiden, sie aber unter die Juden gingen, allein daß wir der Armen gedächten, welches ich auch fleißig bin gewesen zu tun. Gal 2,2-10

 

Kürzlich hörte ich ein Fremdwort, das ich noch nicht kannte. Es heißt "Resilienz". Ich habe nachgeschlagen, was es bedeutet. Es ist vom Lateinischen "zurückspringen" oder "abprallen" abgeleitet. Der Begriff ist der Medizin bzw. Psychologie entlehnt. Er bezeichnet die Fähigkeit der raschen psychischen Gesundung nach traumatischen oder stressvollen Lebensumständen. Etwas einfacher gesagt: "Resilienz" bezeichnet die Fähigkeit, Schläge wegzustecken und sich nicht so schnell umhauen zu lassen.

 

Der belgische Althistoriker David Engels redet angesichts der katastrophalen Entkirchlichung Europas von der Notwendigkeit "kultureller Resilienz". Keinesfalls dürfe die Krise der Verkündigung des Evangeliums als des Wichtigsten, das es überhaupt gibt, dazu führen, gleichgültig zu werden, sich entmutigen zu lassen oder gar zu verzweifeln. Das alles kommt überhaupt nicht in Frage. Es geht vielmehr darum, sich seines Herkommens zu vergewissern und das entwurzelte Zeitalter zurückzuweisen.

 

Wir hörten ein Stück aus dem Galaterbrief. Er atmet auch nach fast 2000 Jahren noch eine große Unmittelbarkeit. Der Apostel gibt hier einen Einblick in die erste, große Weichenstellung des christlichen Lebens im 1. Jh. Die Völker Europas und natürlich auch die Deutschen haben diesem Mann zu danken, dass er damals "nicht eine Stunde" von seiner Überzeugung gewichen war. Die "Wahrheit des Evangeliums", an dem wir spätberufenen, frühversprengten Deutschen uns bis heute festhalten, steht und fällt mit dem Handschlag, der den Apostel Paulus mit den "Säulen" der Jerusalemer Gemeinde Jakobus, Petrus und Johannes im Frieden auseinander brachte. Seine begeisterte Argumentation, sich von den gesetzlichen Vorgaben des Judentums um der Freiheit in Christus willen zu lösen, muss von einer Durchschlagskraft gewesen sein, dem weder die "Säulen" noch gar die anonymen "falschen Brüder" etwas entgegenzusetzen wussten.

 

So konnten unsere Väter zu Christen werden und wir in ihrem Gefolge. Das ist und bleibt das Größte, das uns widerfahren konnte. Das Werden des christlichen Abendlandes hat unmittelbar mit den Männern zu tun, deren wir heute gedenken. Ohne den Apostel Petrus keine Gemeinde in Jerusalem, zu der der bekehrte Paulus hätte hinzustoßen können; ohne den Apostel Paulus keine Gemeinde im römischen Reich und ohne die "Säulen", die diese Entscheidung gefällt haben, kein Feuer des Heiligen Geistes, das die Herzen der Gläubigen auf dem ganzen Erdball erfüllte.

 

Es fällt mir auf, dass der Apostel die Auseinandersetzung, die er nach seiner Christus-Offenbarung in Jerusalem zu führen hatte, in einer Weise schildert, die man geradlinig und direkt nennen kann. Es wird ihn auch später beeindruckend auszeichnen, dass er mit offenem Visier kämpfte.

 

Diplomatie gilt in der Welt als bewunderte Begabung. Der Apostel Paulus hat offenbar keinen Wert darauf gelegt, im Verborgenen des spiegelglatten Parketts der Diplomatie Fäden zu spinnen und aus der zweiten Reihe heraus zu operieren. Sein Vorgehen trägt nicht die Merkmale fintenreicher Verschlagenheit, um das gewünschte Ergebnis durch feine Andeutungen und ein Gespinst genau kalkulierter Winkelzüge zuwege zu bringen. Ich bewundere Leute, die auch so etwas können, aber ich weiß zugleich, dass solch ein Vorgehen eines Apostels unwürdig gewesen wäre. Hier wird aus der Vollmacht des Geistes Christi geurteilt und entschieden, d. h. am Evangelium gemessen und gehandelt.

 

Es ist das Recht dieses Tages, in einer verlogenen Welt, die unablässig versucht, unliebsamen Stimmen den Mund zu verbieten, diese apostolische Geradlinigkeit als leuchtendes Beispiel herauszustellen.

 

Ich glaube fast, die Kirche würde gesunden, nähme sie sich die Apostel zum Beispiel. Die Kirche soll wieder eine apostolische werden. Dann verstrickte sich nicht im Haschen nach Beifall. Denn daran ist nichts gelegen. Die Kirche der Apostel Petrus und Paulus hat den bleibenden Auftrag, der Welt in Wort und Sakrament den Spiegel vorzuhalten und ihr Heil und Heilung zu schenken.

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019