Gedanken zur Tageslosung am Freitag, den 18. September 2020

von Pfarrer Dr. Friedrich Christoph Ilgner

"Ich bin der HERR, der das Recht liebt und Raub und Unrecht hasst." Jes 61,8

 

Einer meiner alten Studiengenossen, den die Empörung darüber gewaltig umtrieb, dass es die Todesstrafe in den USA noch immer gibt, hatte einmal einen Geistesblitz, der ihm offenbarte, wie dieser Missstand ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen sei. Er erörterte mir mit großer Emphase, dass es doch genüge, alle Anhänger und Verteidiger der Todesstrafe zum Tode zu verurteilen und hinzurichten. Schon wäre das ganze Problem gelöst. Er war ganz beseelt von seinem Gedanken. Dass er genau die Straftat praktizieren wollte, die er auszurotten vorgab, war ihm im Eifer des Gefechts gar nicht aufgefallen.

 

Es ist als kuriose Eigenart unserer Zeit zu beobachten, dass Recht nicht Recht ist und Unrecht nicht Unrecht. So kann es geschehen, dass Straftaten von Menschen oder Menschengruppen minder schwer wiegen, wenn die öffentliche Meinung geneigt ist, ihnen politisch oder ideologisch Verständnis entgegen zu bringen. Dem Straftäter wird dann verständnisvoll bescheinigt, dass seine Handlungsweise unter den obwaltenden Umständen als gar nicht so schlimm anzusehen sei und er vielleicht auch gar nicht anders konnte. Ein gesellschaftlich gegebener Missstand habe ihn geradezu dahin führen müssen. Alles sei eine Folge misslicher Umstände usw. Schwuppdiwupp ist aus dem Täter ein Opfer geworden, dem mit Empathie und Entgegenkommen zu begegnen eine moralische Pflicht ist.

 

Auch das umgekehrte Phänomen ist zu beobachten. Wer sich der politischen Mehrheitsmeinung verweigert oder einfach der artigen Journaille und der deutschen Qualitätspresse nicht in den Kram passt, läuft Gefahr, über Nacht Amt und Würden, Ruf und Ansehen zu verlieren, obwohl gar nichts vorgefallen ist, was in irgendeiner Weise justiziabel wäre. Er findet sich schwuppdiwupp gebrandmarkt wieder. Selbstverständlich gilt er nicht als Opfer, sondern als Täter. Ja, das ist kurios.

 

Doch eigentlich ist es nicht nur kurios, sondern geradezu gottlos, solche dreisten Umwertungen vorzunehmen. Der Prophet Jesaja, der von Gott bezeugt, dass er das Recht liebt und Raub und Unrecht hasst, erinnert uns mit glasklaren Worten daran. Selbstverständlich hat er vor allem das göttliche Recht, das den alten Bund Gottes mit seinem erwählten Volk konstituiert, im Sinn. Aber über die zehn Gebote und ihre naturrechtlich allumfassende Gültigkeit erstreckt sich der Gotteswille von Recht und Ordnung natürlich auch in den täglichen Alltag aller Menschen aller Zeiten.

 

"Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert" (Micha 6,8) Das Recht als Unrecht und das Unrecht als Recht auszugeben, ist und bleibt gottlos. Immerhin wird auf diese Weise deutlich, dass wir in einer Welt leben, die sich von Gottes Geboten weit entfernt hat.

 

Wir haben in eben dieser Welt eine wichtige Aufgabe. Erstens, wir machen da nicht mit und stoßen nicht ins gleiche Horn. Wir messen uns und unsere Gedanken am Wort Gottes. Zweitens, wir bleiben wach, um gottlose Umdeutungen überhaupt zu bemerken. Das ist nicht immer leicht, denn sie kommen geschmeidig und verführerisch daher. Drittens, wir werden versuchen, ihnen entgegenzutreten. Das ist schwierig, weil man sogleich auf Aggression und Unduldsamkeit stößt. Selbstvernichtung ist hier nicht das Mittel der Wahl. Der Christgläubige bleibt fest im Glauben, klug in Rede und Handlung und seine Seele ohne Falsch. Aber er bleibt. 

"Niemand gehe zu weit und übervorteile seinen Bruder im Handel. Denn der Herr straft dies alles." 1 Thess 4,6

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019