„Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.“ Offb 21,4
Ich habe kürzlich mit einer jungen Dame gesprochen, die studienhalber weit weg, in eine andere Stadt gezogen ist. Im Nu ist alles neu und anders geworden, und zwar auf Jahre hin, wenn es gut geht. Es wird nicht wieder, wie es einst gewesen.
Aus mancher Formulierung glaubte ich herauszuhören, dass es ihr nicht ganz leicht fällt, den ersten, langen Abschnitt ihres Lebens in der Geborgenheit des Elternhauses hinter sich zu lassen. Manchmal, erzählte sie mir, wache sie früh auf und denke, sie läge noch zu Hause in ihrem Bett unter der Dachschräge, gut und geborgen. Und dann komme ihr plötzlich zu Bewusstsein, dass das nicht mehr stimmt. Als sie das sagte, war ein kleiner Schmerz dabei.
Ich glaube, es schwant ihr, dass ein solcher Aufbruch (so nötig und gut er ist) zugleich einen wirklichen Abschied bedeutet. Sie spürt, dass auch eine gewisse Endgültigkeit damit verbunden ist. Kein großer, nur ein kleiner, erster Abschied, aber trotzdem schon wie ein kleiner Tod. Ja, ein Abschied gleicht immer einem kleinen Tod.
Ich habe ihr Mut gemacht, so gut ich konnte. Ich glaube auch, dass sie sich mit der Zeit hineinfinden wird in das neue Leben und dass es schön wird, voller herrlicher Erfahrungen. Aber man kann ja nicht leugnen, dass „das Erste vergangen ist“.
Ich erzähle das, weil unser aller Leben von solchen Abschieden geprägt ist. Wir können dem nicht entgehen. Oft ist es uns gar nicht bewusst, dass eine lange Kette solcher kleinen Tode hinter uns liegt. Manchmal aber, in einer ruhigen Minute, wenn wir das Leben überdenken, wird es uns schreckhaft klar. Wir kennen das alle. In der Zukunft liegt ein letzter Gang vor uns, der zugleich der letzte Abschied sein wird. „Es geht hier zu, wie wenn ein Kind aus der kleinen Wohnung in seiner Mutter Leib mit Gefahr und Ängsten geboren wird in diesen weiten Himmel und Erde, das ist unsere Welt: ebenso geht der Mensch durch die enge Pforte des Todes aus diesem Leben.“ (Martin Luther, WA 2, 685f..)
So weit, so wahr. Aber Luther führt diesen Gedanken über Tränen, Leid, Schmerz, Angst und Tod hinaus. Das ist die entscheidende Wendung. Der Tod wird als eine neue Geburt gedeutet. Was für ein verrückter Wechsel! Wer so denken kann, kann die Abschiede im Glauben hinnehmen und fröhlich in die Zukunft ziehen. Gott wendet sie in Segen.
„Und obwohl der Himmel und die Welt, darin wir jetzt leben, als groß und weit angesehen werden, so ist es doch alles gegen den zukünftigen Himmel so viel enger und kleiner, wie es der Mutter Leib gegen diesen Himmel ist. Darum heißt der lieben Heiligen Sterben eine neue Geburt ... Aber der enge Gang des Todes macht, dass uns dies Leben weit und jenes eng dünkt. Darum muss man das glauben und an der leiblichen Geburt eines Kindes lernen, wie Christus sagt: ‚Ein Weib, wenn es gebiert, so leidet es Angst. Wenn sie aber genesen ist, so gedenkt sie der Angst nimmer, dieweil ein Mensch geboren ist von ihr in die Welt.‘ So muss man sich auch im Sterben auf die Angst gefasst machen und wissen, dass danach ein großer Raum und Freude sein wird.“ (Martin Luther, ibid.)
Und wenn wir zum Totensonntag an die denken, die schon durch die enge Pforte hindurch sind, sollen wir nicht vergessen, dass sie jenen großen Raum, in dem Freude sein wird, betreten haben.
Es grüßt Sie herzlich Ihr Pfarrer Ilgner