Predigt am Vorletzten Sonntag des Kirchenjahres, den 15. November 2020

von Pfarrer Dr. Friedrich Christoph Ilgner

Predigt am Vorletzten Sonntag des Kirchenjahres, den 15. November 2020

1 Er sprach aber auch zu den Jüngern: Es war ein reicher Mann, der hatte einen Verwalter; der wurde bei ihm beschuldigt, er verschleudere ihm seinen Besitz. 2 Und er ließ ihn rufen und sprach zu ihm: Was höre ich da von dir? Gib Rechenschaft über deine Verwaltung; denn du kannst hinfort nicht Verwalter sein. 3 Da sprach der Verwalter bei sich selbst: Was soll ich tun? Mein Herr nimmt mir das Amt; graben kann ich nicht, auch schäme ich mich zu betteln. 4 Ich weiß, was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich von dem Amt abgesetzt werde. 5 Und er rief zu sich die Schuldner seines Herrn, einen jeden für sich, und sprach zu dem ersten: Wie viel bist du meinem Herrn schuldig? 6 Der sprach: Hundert Fass Öl. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein, setz dich hin und schreib flugs fünfzig. 7 Danach sprach er zu dem zweiten: Du aber, wie viel bist du schuldig? Der sprach: Hundert Sack Weizen. Er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig. 8 Und der Herr lobte den ungerechten Verwalter, weil er klug gehandelt hatte. Denn die Kinder dieser Welt sind unter ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts. 9 Und ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit, wenn er zu Ende geht, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten. Lk 16,1-9

 

Seit Jahrhunderten fragen sich die Ausleger der Heiligen Schrift: Was fangen wir mit dieser Gleichnisrede an? "Unzählbar sind die Versuche, ihren wahren Sinn zu enträtseln, d. h. die herrschende Parabelerklärung hat sich an ihr bankerott erklären müssen." (Adolf Jülicher, Die Gleichnisreden Jesu, Bd. II, Freiburg 1899, S. 459)

 

Um es vorweg zu sagen: Ich verstehe dieses Gleichnis auch nicht. Wer bin ich, dass ich mir einbilden dürfte, hier Wesentliches zu Tage zu fördern? In meiner Not habe ich zwei Mal mit einem alten Freund und Studiengenossen telefoniert. Wir haben stundenlang hin und her gerätselt und sind dabei umhergeirrt wie Blinde, die ständig in die Grube fallen

 

Mein alter Freund ist ein kundiger Theologe und klug obendrein. Auch hat er ein feines Gedächtnis. So erinnerte er sich an einen unserer Professoren auf der Hohen Schule. Der, sagt er, hätte einmal gesagt, dass an der Romangestalt des Alexis Sorbas etwas Wichtiges für das Verständnis des Evangeliums deutlich würde. Das mag verwundern; taugt doch dieser Bursche in seinem prallen Lebensgenuss nicht unbedingt als Vorbild für bürgerliche Wohlanständigkeit. Umgekehrt, er erscheint doch vielmehr als urwüchsiger Lebemann, der seinen entfesselten Wünschen und Instinkten nachgeht und nichts, aber auch gar nichts auslässt. Das Leben ist schließlich dazu da, in vollen Zügen genossen zu werden. So finden sich allerlei Frauen- und sonstige Geschichten und Schlingeleien. Aber eben darin ist er wieder interessant. Alexis Sorbas wird nun eines Tages gefragt, wie er wohl denke, dass Gott sich dereinst zu ihm stellen wird. Er gibt eine feine Antwort. Diese Antwort will ich eingangs festhalten. Sie ist mit Blick auf unser Gleichnis von Belang. Er antwortet nämlich: Gott gleicht einem Edelmann, nicht einem Krämer.

 

Das Gleichnis vom ungerechten Verwalter stammt aus dem Munde Jesu. Es findet sich nur im Lukasevangelium. Hier schließt es sich unmittelbar an das berühmte Kap 15 vom verlorenen Schaf, vom verlorenen Groschen und vom verlorenen Sohn an. Ihm folgt noch ein fünftes Gleichnis, nämlich das vom reichen Mann und vom armen Lazarus. Wir haben es also mit einer Kette von fünf Gleichnissen zu tun. Lukas, der sie zusammengesammelt hat, als er sein Evangelium an Theophilus schrieb, wird sie mit Bedacht bewahrt haben. Dass sie so sperrig ist und sich jeder einfachen Erklärung verweigert, spricht für ihre hohes Alter und ihre Authentizität. Lukas wollte, nein Christus wollte, davon gehe ich aus, dass auch das Gleichnis vom unehrlichen Verwalter, gehört wird. Warum?

 

Noch einmal das Gleichnis. Um es ganz klar zu sagen: Es ist eine einzige Zumutung. Der Verwalter unterschlägt aus eigener Machtfülle die Besitztümer seines Herrn. Ursache seines Handels ist die Angst. Er verliert seine Arbeitsstelle als Verwalter, weil er schon vorab der Unterschlagung bezichtigt wird. Das Motiv seines Handelns ist nun folgendes: Wenn schon, denn schon. Er erkauft sich mit dem fremden Gut Freunde für die Zukunft. So muss er selbst nicht hart arbeiten oder betteln, wie er selbst sagt. Faul scheint er auch noch zu sein. Abschließendes Urteil: Dieser Verwalter ist ein ausgemachter Schlingel, Schelm und Tunichtgut. Das sieht jeder.

 

Vollkommen unpassend und überaus überraschend ist nun das Urteil des Herrn. Was sagt er? Es heißt: "Und der Herr lobte den ungetreuen Verwalter, weil er klug gehandelt hatte." Hä? Da brat' mir doch e'ner 'nen Storch!

 

Es ist rührend zu sehen, wie Generationen von Auslegern versucht haben, die Härten und Ungereimtheiten des Gleichnisses aus der Welt zu schaffen. Schlankerhand die Klugheit eines solchen Verwalters zum Vorbild des Handels zu machen, verbietet sich nun doch (wenn anders wir nicht demnächst alle im Gefängnis landen wollen wegen Unterschlagung, Betruges und Urkundenfälschung). Also, man muss sich etwas einfallen lassen. 

 

Manche sagen: Der Verwalter handelt in Wahrheit klug und fromm, da er den Schuldnern eigentlich nur den Zins erlässt, den der Herr widerrechtlich erhebt. Dieser lobt ihn nun wegen seines eigenmächtigen Schrittes, da das mosaische Zinsverbot vom Verwalter fromm durchgesetzt wurde. Der Verwalter steht also in Treue zum Gesetz. Er ist ein Gerechter. Fazit: So soll der Christenmensch auch sein! - Nun, das ist schlau beobachtet, aber problematisch. Denn vom Erlass rechtswidrig erhobener Zinsen steht nichts im Gleichnis. Das Motiv des Handelns ist durchaus nicht Gesetzestreue, sondern Eigennutz. Das wiederum steht ausdrücklich da.

 

Neuer Versuch, manche sagen: Der eigentliche Sinn besteht darin, die Tatkraft des Verwalters zu verherrlichen. Er sieht die Katastrophe auf sich zurollen und handelt klug und beherzt. Er tut etwas. Er sitzt nicht nur paralysiert in der Ecke und jammert. Er sieht klar seine Chance und ergreift sie konsequent. So soll der Christenmensch auch sein! - Aber was, wenn dieses Handeln kriminell genannt zu werden verdient? Soll denn der Zweck die Mittel heiligen? Und ist betrügerischer Eigennutz das Mittel, das Christus den Seinen zu wählen empfiehlt? Doch wohl nicht.

 

Dritter Versuch: Die sozialistische Auslegung. Hier wird's ganz kurios. Der Verwalter gleiche, sagt man, einer Art Robin Hood, der dem reichen Herrn zugunsten der armen Schlucker etwas abknapst. Er kämpfe für die gerechte Verteilung des Reichtums und gebe ein Beispiel ab für den rechten Umgang mit Besitz. Enteignung lautet die Parole. Dieses Gleichnis propagiere also eine radikal anderen Qualität menschlichen Handelns im Lichte des Reiches Gottes. So soll ein Christenmensch sein! - Nun, wie gottlos sozialistische und kommunistische Experimente sind, habe ich in meiner Kindheit und Jugend gründlich am eigenen Leibe erfahren. Es ist ein Irrglaube, zu meinen, sozialistische Umverteilungsphantasien dürften mit dem Evangelium, der froh und frei machenden Botschaft Christi, verwechselt werden. Richtig ist daran allein, dass irgendwelche Linksideologien einen fatalen Hang zum Verbrechen haben. Aber Christus? Für mich scheidet diese Deutung ganz klar aus.

 

Was nun? Ich könnte noch leicht fortfahren, weitere Deutungsvarianten verschiedener Art aufzuzählen. Aber das führt uns nicht zum Ziel. Ich gebe unumwunden zu, dass ich eine bündige Auslegung nicht geben kann. Oder ich sehe sie nicht. 

 

Aber ich halte nochmals fest: Lukas hat dieses Gleichnis nicht unterschlagen, wie er leicht hätte tun können. Es muss ihm selber schon Anlass zu Fragen gewesen sein. Einige tastende Äußerungen weisen in diese Richtung. Aber er hat es in Treue zur Überlieferung beibehalten.

 

Ich halte weiterhin fest, dass die Handlungsweise des Verwalters nach menschlichen Maßstäben überaus anstößig ist. Hier ist nichts umzudeuten oder zu beschönigen.

 

Was hatte Christus im Sinn? Wollte er den Hörer nur stutzig werden lassen? Vielleicht soll der begreifen: Seine Verkündigung geht nicht immer auf. Sie lässt Fragen offen. Sie macht uns stutzig. Sie unterbricht die glatte, fromme und wohlgefällige Annehmlichkeit, mit der uns die Gleichnisse für gewöhnlich eingehen. Sie stopft denen, die immer ganz genau wissen, wer und wie Christus ist und handelt, das Maul. Hat Lukas, vielmehr Christus selbst, beabsichtigt, dass der Faden der Auslegung hier einmal reißen sollte? Sollen wir mit vollem Vorsatz einmal an die Grenzen des Verständnisses des Geheimnisses Jesu geführt werden, so dass wir dastehen und sagen: "Wir sind Bettler, das ist wahr"? Mein Freund hat mir auch diese berühmten Worte Luthers am Ende seines Lebens in Erinnerung gerufen. Sie sind ja eben mit Blick auf das Verstehen der Heiligen Schriften gesprochen und ein Beispiel der Demut und der Gottesfurcht eines Mannes, der sich sein ganzes Leben lang um das Verstehen des Wortes Gottes gemüht hat.

 

Es bleibt eine schwere Versuchung, sich die Botschaft Jesu in jedem Punkte gefügig und handlich zu machen und sie damit jedes Geheimnisses zu berauben. Bei unserem Gleichnis ist das schlicht nicht möglich. Oder ich sehe es nicht. Vielleicht wird eine Zeit kommen, in der dieses Gleichnis besser und richtiger verstanden werden kann, als es jetzt möglich ist. Ich kann das nicht vorhersehen.

 

Eins aber sehe ich doch klar. Das drängt sich förmlich auf. Der eigentliche Knackpunkt des Gleichnisses ist die überraschende Reaktion des "Herrn". Denn er lobt den Erzschelm von Verwalter gegen jede Erwartung.

 

Das bedeutet, dass Gott etwas kann, das uns Menschen überaus schwer fällt. Er kann "zuweilen durch die Finger sehen, hören und nicht hören, sehen und nicht sehen." (Luther, Tischreden) Gott ist großzügig. Es gilt, auf eben diesen Gott das bisschen Vertrauen zu werfen, das wir haben. Wir kommen schlechterdings mit unseren Begriffen von Moral und Anstand (die ich natürlich nicht aufgeben kann und darf) an Gottes Noblesse nicht heran. Hier bleibt er ganz frei. Aber mir schwant, dass ich selbst sehr darauf angewiesen bin und bleibe, dass all die Schlingeleien meines Lebens (und weit Schlimmeres) hoffentlich nicht nach Recht und Gesetz abgehandelt werden. Ich glaube bald, dazu hat er mich zu lieb. 

 

Bloß gut, unser Gott gleicht keinem Krämer, sondern einem Edelmann.

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019