2. Sonntag nach Epiphanias, den 17. Januar 2021

von Pfarrer Dr. Friedrich Christoph Ilgner

Jedermann gibt zuerst den guten Wein und, wenn sie trunken sind, den geringeren; du aber hast den guten Wein bis jetzt zurückgehalten. Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat. Es geschah zu Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn. Joh 2,10-11

 

"Deutschland. Ein Wintermärchen":

Sie sang das alte Entsagungslied,

Das Eiapopeia vom Himmel,

Womit man einlullt, wenn es greint,

Das Volk, den großen Lümmel,

Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,

Ich kenn auch die Herren Verfasser;

Ich weiß, sie tranken heimlich Wein

Und predigten öffentlich Wasser.

 

"Deutschland. Ein Wintermärchen". Das ist in mehrfacher Hinsicht keine schlechte Beschreibung für den Zustand unseres Vaterlandes. Schnee und Eis auf unseren Straßen und die Eiseskälte in unserer Christuskirche, in der wir nicht einmal zusammenrücken können, sind dabei vergleichsweise harmlos und äußerlich. Nein, ganz allgemein, scheint mir, stehen die Zeiten für Kälte, Frost und Erstarrung recht gut.

 

Die stacheligen Worte eines Heinrich Heine formulieren einen alten Vorbehalt gegen das Evangelium, die froh und frei machende Botschaft von Jesus Christus. Wer dieser Botschaft vertraut, sagt Heine, erliege einem schweren Irrtum. Der christliche Glaube erscheint hier nicht nur langweilig, als interessiere er niemanden mehr. Er sei auch ohnmächtig geworden, weil das "Bodenpersonal" Gottes versage. Auch die Kirche, so lautet sein Vorwurf, predige mit großer Geste das Wasser des Verzichts und vertröste die Menschen ansonsten auf bessere Zeiten.

 

Ich frage mich, war um mich Heinrich Heines Worte, die ich schon aus der sozialistischen Schule kenne (die sie innig liebte), nach wie vor so sehr ärgern. Es muss damit zusammen hängen, dass sie (mindestens ein klein wenig) treffen. Weh und Ach über uns, wenn Heinrich Heine weiter Recht behielte über die Verkündigung der Kirche. Denn was das heilige Evangelium angeht, hat er nicht Recht. Das gebe ich ihm nicht zu, niemals.

 

Wasser zu predigen, nun, das ist leicht. Das tun sie alle. Das ist wohlfeil in der Welt. Doch nun aufgemerkt. Christus tut etwas anderes. Wer die Geschichte von der Hochzeit zu Kana liest, wird eines besseren belehrt. Christus schenkt nicht Wasser aus statt Wein, sondern umgekehrt.

 

Gehen wir zur Hochzeit von Kana. Auf diesem Fest geht etwas schief. Es geht immer etwas schief im Leben. Es geht vor allem dann schief, wenn nichts schief gehen darf. Wir planen unser ganzes Leben möglichst minutiös durch. Und dann geschehen Dinge, die einfach nicht geschehen dürfen, weil wir sind, wie wir nun mal sind. Es geschehen massenhaft banale Pannen, Peinlichkeiten und auch richtige, echte Katastrophen. Manchmal aus eigener Schuld und Nachlässigkeit, oft auch aus unabsehbaren Gründen, denen wir ohnmächtig, kraftlos und passiv ausgeliefert sind.

 

Dass bei einem rauschenden Hochzeitsfest, dem Fest der Feste, der Wein nicht reicht, wie damals in Kana, ist eine ordentliche Katastrophe. Dass es uns heute eher blamabel als katastrophal erscheint, mag damit zusammenhängen, dass die Hochzeit leider an Bedeutung und Wichtigkeit verloren hat und die vorsätzliche Verschwendung von Speis und Trank in unserer übersättigten Gegenwart nicht mehr recht gewürdigt werden kann. Aber wenn das ganze Leben karg und mühsam dahinläuft, ist eine festliche Unterbrechung, bei der der Wein in Strömen fließt, schon etwas anderes. Das lässt sich denken.

 

Und nun gibt es mitten in der Katastrophe einen wahren Glücksumstand. Es ist jemand da, der helfen kann und wird. Ja, mag mancher einwenden, das war damals. Alles alte Geschichten. Die Weltenuhr ist schon 2000 Jahre weiter gerückt. Bei mir sitzt Jesus nicht am Tisch.

 

Dem möchte ich antworten: So? Bei dir sitzt Jesus nicht am Tisch? Woher willst du das wissen? Weil du ihm nicht zuprosten oder auf die Schulter schlagen kannst? Weil er nicht aus Fleisch und Blut ist, wie du und ich? Weil du ihn nicht sehen, spüren, anfassen kannst?

 

Irre dich nicht. Umgekehrt ist es. Er ist da, weil du ihn nicht sehen, spüren und anfassen kannst.

 

Ich sage dir ein Geheimnis. Er sitzt nicht nur an deinem Tisch, sondern an unser aller Tisch. Denn er ist der Lebendige. Er ist der auferstandene Herr über Zeit und Raum, allgegenwärtig und allebendig. An ihm liegt es nicht, wenn du meinst, er wäre nicht da. Es liegt an dir.

 

Genau genommen sind die Leute von damals zu bedauern. Denn Christus konnte nur in jenem Hochzeitshaus in Kana sitzen. Die hatten freilich Glück, dass sie ihn bei sich hatten. Aber all die armen Leutchen von Nazareth, Kapernaum, Bethlehem, Jericho, Jerusalem und erst recht in den Weiten der germanischen und slawischen Siedlungsbereiche unserer Vorfahren - die hatten ihn nicht an ihrem Tisch zu sitzen, so dass sie die Katastrophen ihres Lebens allein zu tragen hatten, was war mit denen? Christus ist nicht bei ihnen zu Gast gewesen. Das geht ja erst, seit er "erhöht" wurde und "zur Rechten des Vaters auf dem Thron sitzt", auf dass er der bedrängten Menschheit in Eiseskälte und Erstarrung durch die Verkündigung seines Wortes im Heiligen Geist nahe sein könne.

 

Die Kirche, d. h. die wahre, verborgene Kirche in allen Konfessionen, verkündigt den lebendigen Christus. Sie geht ganz selbstverständlich davon aus, dass er "mitten unter uns ist alle Tage, bis an der Welt Ende". Nur dann hat sie überhaupt einen Sinn und eine Existenzberechtigung. Alles Elend und alle Entzweiung dieser Welt, angefangen von unseren Familien, über unsere Lebenskreise, unser Heimatland, zwischen den Völkern usw. hat immer nur damit zu tun, dass vergessen wurde, dass Christus am Tisch sitzt und mitten unter uns ist.

 

Denn wo Christus sitzt, herrschen Friede und Freude. Wo er dabei ist, geschehen Zeichen und Wunder. Zeichen führen und leiten. Wunder heilen und versöhnen. Ein Leben aus der Kraft des Glaubens wird, trotz aller Katastrophen und stacks durch sie hindurch, sein, als würde aus schalem Wasser guter Wein und das Leben ein wahres Fest. "Und seine Jünger glaubten an ihn."