Andacht zur Tageslosung am Freitag, den 1. Mai 2020

"Ist denn die Hand des HERRN zu kurz?" 4. Mose 11,23

 

Das Schweigen Gottes, seine Distanz und scheinbare Ferne haben die Menschen seit alters gegen Gott und sein Wirken in der Welt gewandt. Mit den Worten der Tageslosung: Die Hand Gottes ist zu kurz! Das ist der eher noch milde Schluss, den man daraus ziehen kann. Es sind noch extremere Antworten denkbar.

 

An Erklärungen für die Existenz des Universums hat es bis in die Gegenwart hinein nicht gefehlt. Ich möchte erinnern an eine, die der populäre Physiker Stephen Hawking allgemeinfasslich vorgetragen hat. Er möchte Gott, den Schöpfer von Himmel und Erde, durch die Überlegung dessen ersetzen, was er das "anthropische Prinzip" nennt.

 

Er geht davon aus, dass es entweder ein Universum gibt, das räumlich unbegrenzt ist - oder dass es unendlich viele Universen gibt. Mit dieser Tatsache sind auch unendlich viele Möglichkeiten der Zusammenordnung aller an sich chaotischen Zustände des Seins vorstellbar. Er erklärt diesen Gedanken an einem netten Beispiel: "Es verhält sich wie in dem bekannten Beispiel der Affen, die auf Schreibmaschinen herumhämmern - was sie schreiben, wird größtenteils Unsinn sein, doch in ganz seltenen Fällen werden sie durch reinen Zufall ein Shakespearesches Sonett zusammentippen. Könnte es im Fall des Universums der Zufall nicht ebenso wollen, dass wir in einer dieser einheitlichen und gleichförmigen Regionen leben?" (Stephen Hawking, Eine kurze Geschichte der Zeit, Hamburg 2001, S. 161).

 

Im Denkhorizont der Unendlichkeit gibt es nach Hawking nichts, was es nicht irgendwann einmal geben muss. So ist der Zufall in der Unendlichkeit dasjenige Element, das die millionenfach fein abgestimmten Bedingungen der Existenz des Lebens auf der Erde gleich einem Shakespearseschen Sonetts exakt hervorgebracht hat. "Die meisten Werte würden zur Entstehung von Universen führen, die zwar sehr schön sein, aber niemanden beherbergen könnten, der diese Schönheit bestaunte. Dies kann man entweder als Beweis für den göttlichen Ursprung der Schöpfung und der Naturgesetze werten oder als Beleg für das starke anthropische Prinzip." (ibid. S. 163)

 

Diese Schlusswendung macht nun doch stutzig. Es werden die Schöpfung Gottes und das anthropische Prinzip als Alternativen gegeneinander gesetzt.

 

Man frag sich: Warum möchte er Gott loswerden? Was ist der Mehrwert der Schöpfungssubstitution? Wieso gelingt das nicht ohne quasireligiöse Konstrukte "allmächtiger" Prinzipien wie "Zufall" und "Unendlichkeit"? Ist das nicht eine religiöse Sprache durch die Hintertüre?

 

Ich kann nicht erkennten, dass damit die "Kurzarmigkeit" Gottes, der seine Geschöpfe nicht erreichen kann, erwiesen wäre. Im Gegenteil. Eine Schöpfungserzählung "light" verunklärt nur das Gegenüber des Menschen in ein gesichtsloses "Irgendetwas".

 

Um es klar zu sagen: Ich für meinen Teil bestreite frohgemut die Gültigkeit des "anthropischen Prinzips" als Ersatz für Gott, den Schöpfer von Himmel und Erde.

 

Übrigens freue ich mich auf einen Spaziergang am 1. Mai im Bilderbuch Gottes: "Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden?" Mt 6,28-29.31

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019