Andacht zur Tageslosung am Freitag, den 15. Mai 2020

"Der HERR erhörte unser Schreien und sah unser Elend, unsere Angst und Not." 5Mose 26,7

 

"Schreien", "Elend", "Angst" und "Not" - diese Worte beschreiben so ziemlich umfassend das Gefühl, das vor allem in Krisenzeiten pandemisch um sich greift. Haben Sie schon bemerkt, dass interessanterweise aktuell bei uns gar nicht das Corona-Virus um sich greift, sondern eine namenlose Angst?

 

Ich kenne niemanden persönlich, der vom Virus befallen ist und kenne auch niemanden, der jemanden persönlich kennt, der befallen wäre. Bloß gut.

 

Vielleicht ist das bei Ihnen anders, mag sein. Ich jedenfalls kenne allenfalls Leute, die jemanden kennen, deren entfernte Bekannte jemanden kennen, die vom Virus infiziert sein sollen. Das kommt nun schon einer "Wandersage" nahe. Aber ich kenne sehr viele Menschen, die von der Angst gepackt sind. 

 

Ich leugne nicht, dass es schon irgendwo Menschen geben wird, die tatsächlich befallen sind. Aber die sind wahrscheinlich in abgeschotteten Intensivstationen untergebracht, in Heinsberg oder Oberitalien oder Spanien oder da, wo uns allabendlich die Fernsehbilder hinführen mögen (ich schaue mir das schon lange nicht mehr an und rate jedem davon ab).

 

Halten wir aber mit den Worten unserer Tageslosung fest: Das Quartett von "Schreien", "Elend", "Angst" und "Not" wird mit jedem Tag der Krise mächtiger. Es gesellen sich täglich ganz neue Ängste dazu. Wo soll das hinführen?

 

Solches Denken führt unweigerlich in eine schlimme, allumfassende Unglücksvision. Das kann auch gar nicht anders sein, weil der Mensch die fatale Neigung hat, die Kräfte der Gegenwart linear in die Zukunft fortzudenken. Wenn der Blick auf die Zukunft immer nur eine kausal fortgeschriebenen Gegenwart ist, muss es nicht verwundern, dass eine finstere Antiutopie herauskommt, Chaos, Untergang, Verseuchung usw.

 

Das ist falsch.

 

Die Geschichte läuft nicht als lineare Fortschreibung der Gegenwart ab. Bloß gut. Das ist ja gerade das Amüsement, das uns beim Schauen alter Science-Fiction-Filme befällt. Da wollten Leute mit den Mitteln ihrer Gegenwart in die Zukunft greifen, und sie haben sich dabei gründlich vergriffen.

 

Es gibt unvorhersehbare Ereignisse, die befreien und ermutigen und den Dingen eine andere Wendung geben, als wir sie vorhersehen und je kalkulieren könnten. Genau hier wird "der HERR" in unserem Leben und im Leben dieser Welt mächtig. Bloß gut.

 

Achtung! Wir lassen uns durch den Fatalismus einer fortgeschriebenen Gegenwart nicht die fordernde Frage der armen, bittenden Witwe aus Jesu Gleichnis nehmen: "Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er bei ihnen lange warten? Lk 18,7

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019