"Meine Zunge soll reden von deiner Gerechtigkeit und dich täglich preisen." Ps 35,28
Der Psalm 35 ist die erschütternde Klage eines unschuldig belangten Menschen. Unversöhnliche Feinde stellen ihm nach. Sie haben lange gesucht, ob sich nicht etwas fände, womit sie ihn verdächtig machen könnten. Und es findet sich immer irgendetwas.
"Ohne Grund haben sie mir ihr Netz gestellt, / ohne Grund mir eine Grube gegraben. (V. 7) ...
"Es treten falsche Zeugen auf; / sie fordern von mir, wovon ich nichts weiß.
Sie vergelten mir Gutes mit Bösem, / um mich in Herzeleid zu bringen. (V. 11-12) ...
Denn sie reden nicht, was zum Frieden dient, / und ersinnen falsche Anklagen wider die Stillen im Lande.
Sie sperren das Maul weit auf wider mich / und sprechen: 'Da, da, wir haben es gesehen!' ... (V. 20-21)
Lass sie nicht sagen in ihrem Herzen: 'Da, da! das wollten wir.'
Lass sie nicht sagen: 'Wir haben ihn verschlungen.'" (V. 25)
Das sind uralte Spielchen. In der Politik gehört es zum Tagesgeschäft. Wir haben vielfach erlebt, auch im Bereich der Kirche, wie dieses Spiel gespielt wird. Es ekelt mich, wenn ich nur daran denke. Hüte Gott, dass ich da je mitmache! Hüte Gott, dass ich je Opfer solchen Treibens werde!
Ausgeschlossen ist es nicht. Menschen, die das erlebt haben, kommen schnell zu dem Schluss: Wo steckt denn bloß Gott, dass er es nicht verhindert? Warum gibt der den Ungerechten Raum? Wieso lässt er es zu und haut nicht mit der Faust dazwischen? Ist er zu schwach dazu?
Es ist heute schick geworden, die Allmacht Gottes aus diesem Grunde zu bestreiten. Ein Gott, sagt man, der solche Ungerechtigkeit zuließe, passe nicht mehr in diese Zeit. "Denn jener Gott, der wegen des Leidens der Unschuldigen angeklagt wird, ist der Gott der Allmacht, der König, Vater und Herrscher über die Welt. Ihn klag die Moderne mit Recht an ..." Diese Erkenntnis "führt zur Absetzung des theistisch verstandenen Gottes." (D. Sölle, Stellvertretung, Stuttgart 1967, S. 203)
Nun, bei aller Abscheu gegen die Umtriebigkeit grausamer Menschen, solche Schlussfolgerung lässt sich nur schwer in Übereinstimmung bringen mit dem Satz unserer Tageslosung: "Meine Zunge soll reden von deiner Gerechtigkeit und dich täglich preisen."
Dieser Satz ist er das Fazit von Psalm 35. Was bedeutet das? All die verschlagenen Winkelzüge der Hasser, die dem Unschuldigen mit Lüge und Frechheit nachstellen, können sein Vertrauen in die Gerechtigkeit Gottes nicht beseitigen, sondern nur noch steigern.
Das ist eine paradoxe Deutung! Man staune, diese ist dem Glauben möglich. Gegen allen Augenschein eignet ihm die unverbrüchliche Kraft, nur noch stärker auf die Hilfe Gottes zu hoffen, je schlimmer es kommt. Er sagt nicht: Wenn das und das geschieht, dann ist Gott eben kraftlos. Sondern er sagt: Da das und das geschieht, wird mein Vertrauen, dass die Kraft Gottes es wende, stark und stärker. Ich jedenfalls glaube das so. Denn der Glaube ist einfach nicht tot zu kriegen.
So erklärt sich der Lebensmut der Jünger, die nach der Himmelfahrt Jesu wieder fröhlich nach Jerusalem gingen, wo sie doch so Entsetzliches erlebt hatten: "Die Jünger kehrten zurück nach Jerusalem mit großer Freude und waren allezeit im Tempel und priesen Gott." Lk 24,52-53