Gedanken zur Tageslosung für Freitag, den 28. August 2020

von Pfarrer Dr. Friedrich Christoph Ilgner

"Gott, du bist mein Gott, den ich suche. Es dürstet meine Seele nach dir." Ps 63,2

 

Goethe hat heute Geburtstag. Im Radio hörte ich einen Beitrag mit folgender Anekdote: Als Goethe von einem Künstler huldigend gefragt wurde, ob er ein Porträt von ihm als dem berühmtesten Mann des Zeitalters machen dürfe, hätte er geantwortet, dazu solle er doch erst nach Berlin fahren und Hegel malen. Alsdann könne er geschwind nach Weimar zu ihm zurückkehren. - Hegel wiederum hatte gestern Geburtstag, sogar einen besonderen, den 150.

 

Wir wollen es auf sich beruhen lassen, wer von beiden der allerberühmteste Zeitgenosse gewesen ist. Aber Gottsucher sind sie in jedem Fall alle beide gewesen, jeder auf seine Art. Sie haben dazu gewaltige Anstrengungen des Geistes und der Kunst unternommen. Hegel sagt sogar, dass er sich in seiner "Logik" nichts Geringeres vorgenommen hätte, als "die Darstellung Gottes zu geben, wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes ist."

 

Wir wollen es auf sich beruhen lassen, ob ihm dieses ambitionierte Vorhaben gelungen ist. Ohne jede Frage drückt sich aber in ihm die Sehnsucht und der Wille aus, sich dem Ewigen und Jenseitigen zu nähern und es mit dem "Handgreiflichen" nicht genug sein zu lassen.

 

Der Mensch kann über sich hinausfragen. Es zeichnet ihn aus, sich nicht mit der glatten Oberfläche der Welt zufrieden zu geben. Es ist, als könnte der Mensch aus sich heraustreten und über sich, indem er sich ansieht, nachdenken. Wer ist dieses Subjekt, das "ich" sagt? Wo kommt es her? Verdankt es sich sich selbst? Wohin ist es unterwegs? Wie soll es sich verhalten? Erschöpft sich seine Welt, die es wahrnehmen kann, mit dem, was es sinnlich erfasst?

 

Diese Fragen sind die unseren geblieben. Solange es Menschen gibt, werden sie gestellt werden. Es sind natürlich auch meine Fragen. Auch ich will eine Antwort darauf finden. Nun bin ich weder Goethe noch Hegel, sondern gestehe, dass ich vielmehr erheblich Schwierigkeiten habe, ihren überaus klugen ästhetischen und philosophischen Gedankengängen zu folgen. Ich bewundere sie dafür. Leider stehe ich oftmals da und habe kein Wort verstanden. Ist mir darum die Antwort auf immer verwehrt?

 

Nein, das bilde sich niemand ein. "Nicht, dass ich's schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei; ich jage ihm aber nach, ob ich's auch ergreifen möchte, nachdem ich von Christo Jesu ergriffen bin." (Phil 3,12)

 

Hier blitzt meine "Lieblingsaporie" auf - ja, es gibt sie -, nämlich die, dass ich Gott nur erkenne, weil er mich zuvor zu seiner Erkenntnis bereitet hat, dass ich ihm glaube, weil er mir den Glauben zuvor geschenkt hat, dass ich der Ewigkeit vertrauen kann, weil er sie zuvor in mein Herz gelegt hat. Hoffentlich währt die Suche nach ihm ein ganzes Leben lang (eigentlich schön, so kann es nicht langweilig werden), dass wir über uns hinausfragen und stückweise, wie in den Splittern eines Spiegels (vgl. 1 Kor 13,12), die Wahrheit der Offenbarung entdecken, mehr und mehr, Tag für Tag.

 

Für diesen Weg wird uns eine lebendige Quelle verheißen. Jesus spricht: "Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke!" Joh 7,37

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019