Predigt am 1. Sonntag nach Trinitatis, den 6. Juni 2021, Jona 1, 1-17; 2, 10
Es geschah das Wort des HERRN zu Jona, dem Sohn Amitthais, und sprach:
2 Mache dich auf und gehe in die große Stadt Ninive und predige wider sie! denn ihre Bosheit ist heraufgekommen vor mich.
3 Aber Jona machte sich auf und floh vor dem HERRN und wollte gen Tharsis und kam hinab gen Japho. Und da er ein Schiff fand, das gen Tharsis wollte fahren, gab er Fährgeld und trat hinein, daß er mit ihnen gen Tharsis führe vor dem HERRN.
4 Da ließ der HERR einen großen Wind aufs Meer kommen, und es erhob sich ein großes Ungewitter auf dem Meer, daß man meinte, das Schiff würde zerbrechen.
5 Und die Schiffsleute fürchteten sich und schrieen, ein jeglicher zu seinem Gott, und warfen das Gerät, das im Schiff war, ins Meer, daß es leichter würde. Aber Jona war hinunter in das Schiff gestiegen, lag und schlief.
6 Da trat zu ihm der Schiffsherr und sprach zu ihm: Was schläfst du? Stehe auf, rufe deinen Gott an! ob vielleicht Gott an uns gedenken wollte, daß wir nicht verdürben.
7 Und einer sprach zum andern: Kommt, wir wollen losen, daß wir erfahren, um welches willen es uns so übel gehe. Und da sie losten traf’s Jona.
8 Da sprachen sie zu ihm: Sage uns, warum geht es uns so übel? was ist dein Gewerbe, und wo kommst du her? Aus welchem Lande bist du, und von welchem Volk bist du?
9 Er sprach zu ihnen: Ich bin ein Hebräer und fürchte den HERRN, den Gott des Himmels, welcher gemacht hat das Meer und das Trockene.
10 Da fürchteten sich die Leute sehr und sprachen zu ihm: Warum hast du denn solches getan? denn sie wußten, daß er vor dem HERRN floh; denn er hatte es ihnen gesagt.
11 Da sprachen sie zu ihm: Was sollen wir denn mit dir tun, daß uns das Meer still werde? Denn das Meer fuhr ungestüm.
12 Er sprach zu ihnen: Nehmt mich und werft mich ins Meer, so wird euch das Meer still werden. Denn ich weiß, daß solch groß Ungewitter über euch kommt um meinetwillen.
13 Und die Leute trieben, daß sie wieder zu Lande kämen; aber sie konnten nicht, denn das Meer fuhr ungestüm wider sie.
14 Da riefen sie zu dem HERRN und sprachen: Ach HERR, laß uns nicht verderben um dieses Mannes Seele willen und rechne uns nicht zu unschuldig Blut! denn du, HERR, tust, wie dir’s gefällt.
15 Und sie nahmen Jona und warfen ihn ins Meer; das stand das Meer still von seinem Wüten.
16 Und die Leute fürchteten den HERR sehr und taten dem HERRN Opfer und Gelübde.
17 Aber der HERR verschaffte einen großen Fisch, Jona zu verschlingen. Und Jona war im Leibe des Fisches drei Tage und drei Nächte ...
10 Und der HERR sprach zum Fisch, und der spie Jona aus ans Land. Jona 1, 1-17; 2, 10
Die Geschichte vom Jona und dem Fisch ist eine der berühmtesten der Heiligen Schrift und wahrscheinlich allseits bekannt. Ich erinnere mich, dass ich meine Kinder, als sie noch klein waren, einmal fragte, was sie denn im Kindergottesdienst gehört hätten. Ach, sagten sie, es sei schon wieder der Jona gewesen. Sie hätten schon ein Mal im Kindergarten, zwei Mal in der Christenlehre und drei Mal im Kindergottesdienst in einen Sack steigen müssen, um zu spüren, wie sich Jona im Bauch des Fisches gefühlt haben mag. Das sei auf die Dauer langweilig geworden. (Scheinbar war diese Art Erlebnispädagogik damals gerade der letzte Schrei.) Sie meinten also, sie kennten die Geschichte schon in- und auswendig, so dass nichts Neues mehr zu entdecken wäre.
Nun, ich stimme da nicht zu, sondern hänge der Lehre Johann Albrecht Bengels (1687-1752) an, von dem folgender Merksatz stammt: "Wende dich ganz und gar dem Text zu; die Sache (des Textes) aber ganz und gar auf dich an". ("Te totum applica ad textum; rem totam applica ad te." Motto über seiner Handausgabe des Griechischen Neuen Testaments von 1734) In diesem lebendigen Zwiegespräch zwischen Text und Leser, das dann entsteht, gibt es, da die Situation stets eine neue ist, beim jedesmaligen Lesen Neues zu entdecken. Finden wir also einen Punkt, den wir so vielleicht noch nicht gesehen haben?
Also, Jona soll eine äußerst unangenehme Aufgabe erledigen. Ich gehe davon aus, dass sie sogar gefährlich ist. Denn es ist kein Spaß, fremde Leute in einer reichen Hauptstadt wegen ihres sündigen, verlogenen, korrupten, intriganten und gottlosen Lebens anzugehen, ja ihnen obendren noch den sicheren Untergang zu verkünden, wenn sie sich nicht schleunigst bessern. Und wenn solch eine Fundamentalkritik an pervertierten Lebenspraktiken tuasendmal wahr und berechtigt wäre - es war und ist und bleibt auf ewig gefährlich und bedrohlich, die Wahrheit zu sagen. Ist es da verwunderlich, sich einer unangenehmen, lästigen oder sogar gefährlichen Aufgabe zu entziehen? Nein, das ist es nicht. Wir kennen das alle mehr oder weniger deutlich.
Jona weiß, was Gottes Wille ist. Er weiß auch, dass es die Wahrheit ist. Gottes Wille ist immer die Wahrheit, die unsere Lebenslügen aufdeckt und zur Umkehr mahnt. Das war schon immer so. Aber was Gott jetzt von ihm fordert, das muss er leider ablehnen. Er will den göttlichen Willen nicht tun. Warum? Weil er ihn überfordert? Was steckt beim Jona dahinter? Wahrscheinlich die Angst, vielleicht am ehesten Versagensangst. Ich kann mir vorstellen, dass er sich sagt: "Ich will das nicht. Ich kann das nicht. Ich werde das nicht tun. Ich müsste mich verbiegen. Es ist mir nicht gegeben. Ich bin dafür nicht gemacht und aufgelegt. Es ist mein gutes Recht, einen eigenen Willen zu haben. Ständig bin ich fremdbestimmt. Nein danke. Ich will das nun nicht mehr. Ich mache das nicht mit!" Vielleicht so ähnlich. Jedenfalls ist in Jona ein tiefes Unwohlsein über den Auftrag, zu dem er sich von Gott gewiesen weiß. Dabei ist ihm klar, dass es Gott selbst ist, der ihn hier ruft; das sagt er auch ausdrücklich den Schiffsleuten.
Ich persönlich kann den Jona verstehen. Ich leide mit ihm. Es ist im Laufe der Jahrhunderte nicht unbedingt leichter geworden, die Wahrheit zu sagen. Manch einer von uns mag das kennen, ganz tief im Herzen zu wissen, was die göttliche Wahrheit ist und dass sie eigentlich getan sein muss. Das verräterische Wort "eigentlich" aber sagt alles. Natürlich finden sich Wege, sie zu umschiffen. Manchmal genau so dreist wie im Falle Jonas. Niniveh liegt am Tigris, im heutigen Irak. Er will über's Mittelmeer nach Tarsis fliehen. Die alttestamentliche Wissenschaft vermutet diesen Ort im eutigen Andalusien.
Schauen wir noch etwas schärfer auf Jona. Er vollzieht eine irritierende Wende. Zunächst sucht seine Rettung in der Flucht. Dann aber, als der Sturm das Schiff bedroht, schlägt er sich selbst als Opfer vor. Nicht die Seeleute, auch nicht das Los, das ihn trifft, verursachen, dass er in das aufgewühlte, tosende Meer gestoßen wird, das ihm den sicheren Tod bringen muss. Er selbst bringt das in Vorschlag. Was ist mit dem Manne los? Es muss doch in der Zwischenzeit etwas passiert sein mit ihm.
Ja, ich glaube, es ist etwas sehr Wichtiges in der Zwischenzeit mit ihm passiert. In ihrer Not fragen ihn die Seeleute, denn sie wissen, dass er auf der Flucht vor der Wahrheit ist: "Sage uns, warum geht es uns so übel? Was ist dein Gewerbe, und wo kommst du her? Aus welchem Lande bist du, und von welchem Volk bist du?"
Er antwortet stracks, fast formelhaft: "Ich bin ein Hebräer und fürchte den HERRN, den Gott des Himmels, welcher gemacht hat das Meer und das Trockene."
Das ist die Selbstvergewisserung des Glaubens. Wer ist Gott? Was traue ich ihm zu? Was will er mit mir und der Welt? Diese Selbstvergewisserung wird wie bei Jona in ein Bekenntnis münden. In einem solchen Bekenntnis macht sich der Mensch bewusst, dass Gott der Herr der Welt ist. Vielleicht dass wir in dieser Selbstvergewisserung sagen: "Wie konnte ich nur so kleingläubig sein, sinnlos vor der Wahrheit davonzulaufen."
Die Summe lautet: Fasse Mut! Kehre um! Lass Gott für dich sorgen!