Predigt am 11. Sonntag nach Trinitatis, den 28. August 2022, 2. Sam 12,1-13
1Und der Herr sandte Nathan zu David. Als der zu ihm kam, sprach er zu ihm: Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine reich, der andere arm. 2Der Reiche hatte sehr viele Schafe und Rinder; 3aber der Arme hatte nichts als ein einziges kleines Schäflein, das er gekauft hatte. Und er nährte es, dass es groß wurde bei ihm zugleich mit seinen Kindern. Es aß von seinem Bissen und trank aus seinem Becher und schlief in seinem Schoß, und er hielt’s wie eine Tochter. 4Als aber zu dem reichen Mann ein Gast kam, brachte er’s nicht über sich, von seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um dem Gast etwas zuzurichten, der zu ihm gekommen war. Und er nahm das Schaf des armen Mannes und richtete es dem Mann zu, der zu ihm gekommen war. 5Da geriet David in großen Zorn über den Mann und sprach zu Nathan: So wahr der Herr lebt: Der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat! 6Dazu soll er das Schaf vierfach bezahlen, weil er das getan und sein eigenes geschont hat. 7Da sprach Nathan zu David: Du bist der Mann! So spricht der Herr, der Gott Israels: Ich habe dich zum König gesalbt über Israel und habe dich errettet aus der Hand Sauls 8und habe dir deines Herrn Haus gegeben, dazu seine Frauen in deinen Schoß, und habe dir das Haus Israel und Juda gegeben; und ist das zu wenig, will ich noch dies und das dazutun. 9Warum hast du denn das Wort des Herrn verachtet, dass du getan hast, was ihm missfiel? Uria, den Hetiter, hast du erschlagen mit dem Schwert, seine Frau hast du dir zur Frau genommen, ihn aber hast du umgebracht durch das Schwert der Ammoniter. 10Nun, so soll von deinem Hause das Schwert nimmermehr lassen, weil du mich verachtet und die Frau Urias, des Hetiters, genommen hast, dass sie deine Frau sei… …13Da sprach David zu Nathan: Ich habe gesündigt gegen den Herrn. Nathan sprach zu David: So hat auch der Herr deine Sünde weggenommen; du wirst nicht sterben. 2. Sam 12,1-13
Bei Ausgrabungen im Konvent von San Gregorio in Rom kam ein skurriles Mosaik aus der Antike zum Vorschein. Es zeigt ein Gerippe, das sich niedergelegt hat und, auf seinem Ellbogen gestützt, den Betrachter anschaut. Unter diesem lümmelnden Gerippe steht ein griechischer Spruch. Er lautet: Γνῶθι σεαυτόν (Gnṓthi seautón), zu deutsch: "Erkenne dich selbst!" oder "Erkenne, wer du bist!"
Wie ist das zu verstehen? Ist es das morsche Gerippe, das dem Betrachter anredet und ihm zuruft: "Erkenne dich selbst. Ich meinerseits habe es versucht und bin darüber schier abgestorben. Vielleicht gelingt es dir. Siehe doch an, wie klapperig und morsch ich geworden bin über den Mühen meiner gescheiterten Selbsterkenntnis. Es ist mir nicht recht gelungen. So bin ich also stracks darüber hinfällig geworden."
Wieso lässt jemand ein solches Mosaik in seine Villa legen? Vielleicht war es die überraschende Einsicht, dass wir Menschen uns selbst nicht richtig kennen, obgleich wir die Sehnsucht in uns tragen, diesem Mißstand abzuhelfen. Wenn das stimmt, wäre vielleicht ein erster Schritt in Richtung Selbsterkenntnis gelungen.
Ach ja, es wäre viel gewonnen, wenn sich die Menschheit dann und wann auf diese alte Aufforderung besänne. Aber dieser Wunsch wabert seit Jahrtausenden durch die Geschichte des Menschengeschlechtes, ohne dass erkennbar wäre, dass sich ein wesentlicher Fortschritt diesbezüglich eingestellt hätte. Wir wollen auch gar nicht nur auf andere Leute zeigen, sondern die Blindheit für uns selbst, die Unkenntnis unserer eigenen Gedanken, Worte und Werke nicht in Abrede stellen. Denn es gibt zahlreiche Augenblicke, in denen wir uns selbst nicht wiedererkennen. Und es kommt vor, dass wir hinterher erschrocken sind oder beschämt, wenn wir das erkennen und wie zu einem Fremden zu uns selber sagen: "Wie konntest du nur!"
Zu unserer Geschichte: Gott sendet den Propheten Nathan zum Köngi David, dass er ihm seine Untat vor Augen stelle. Gott sorgt auf diese Weise für die Selbsterkenntnis des Königs. Er bewirkt diese Selbsterkenntnis so gründlich, dass David über sich selbst das Urteil fällt. "Der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat!" Es geht einem durch und durch. Gott lässt sich nicht narren.
Als erstes möchte ich festhalten, dass Gott zu seinen Geschöpfen spricht. Er findet Menschen, Mittel und Wege dazu. Wer wach auf das Wort Gottes hören kann, wird das erfahren. Ich möchte zugespitzt sagen, dass das Wort Gottes eigens dazu da ist, dem selbstgerechten Menschen, seinem Geschöpf, die Wahrheit zu sagen. Das hat damit zu tun, dass der Mensch sie sich selbst nicht sagen kann. Das Ziel des wahrhaftigen Gotteswortes ist, dass es den Menschen wieder zurecht bringen soll. Aus diesem und vielen anderen Berichten der Heiligen Schrift wissen wir, dass Gott sich Menschen erwählt, die gleich Propheten das Wort seiner Wahrheit im Munde führen. Es gibt sie immer. Leider werden sie nur selten gehört. Manch einer mag sich fragen: Wo sind denn heute die Nathans, die den Mächtigen ins Gesicht sagen, was sie in ihrer Verblendung anrichten in Deutschland und Europa? Wer weist auf den nicht wieder gut zu machenden Schaden hin, den die hochbegabten Chefideologen den ihnen anvertrauten Menschen in Deutschland und Europa antun? Gibt es denn keine Nathans mehr? Liebe Leute, natürlich es gibt diese mutigen Nathans an allen Ecken und Enden. Ich jedenfalls höre ihre Stimme überall. Aber gehört werden sie kaum, da die Selbstüberhebung der Mächtigen eine Bastion ist, die scheinbar nur schwer überwunden werden kann.
Anders der große König David. Es zeichnet ihn aus, dass er das Gotteswort nicht mit Abscheu und Empörung zurückweist und sich dagegen verwahrt. Es wäre ja durchaus menschlich, ja wahrscheinlich gewesen und kommt alle Tage vor, sich gegen die entlarvende Wahrheit zu stellen, sich Einwände zu verbitten und dreiste Kritikern das Maul zu stopfen. Wir erleben das ständig, da wir in einer Welt leben, in der man immer unbedingt Recht behalten muss mit dem, was man gesagt und getan hat. Sonst ist man erledigt in der Folterkammer medialer Ehrabschneidung. Im Durcheinander der "Wahrheiten" im Plural konstruiert sich heute jeder seine Fassung. Liebe Leute, es kann als Faustregel gelten, dass, wer pluralsich von "Wahrheiten" redet, schwindelt.
David hätte, mit einem Modewort gesproche, sich leichtlich "distanzieren" können von der Wahrheit des göttlichen Wortes. Die Argumente sind wohlfeil und von jedem psychologisch gedrillten PR-Berater oder Spindoktor zu erlangen: "Moment, Moment", hätte er betroffen rufen können, "es gehören immer zwei dazu. Die schöne Bathseba hat sich gern von mir verführen lassen. Sie war durchaus nicht dagegen, Königin im Lande zu werden und Mutter künftiger Prinzen. Außerdem war sie vernachlässigt worden von ihrem ersten Mann. Das war ja auch nicht fein. Sie hat sich eben für mich entschieden. Außerdem, wo die Liebe hinfällt, was soll man da machen? Und was den Uriah angeht, es ist nicht so ungewöhnlich, dass ein Soldat im Krieg zu Tode kommt. Möglicherweise war er etwas zu tollkühn und hat sich seinen Tod selbst zuzuschreiben. Ein guter Soldat überlebt auch heikle Situationen." Solches und ähnliches unsägliche Geschwätz wäre immerhin auch möglich gewesen. Man kennt diese Art.
Noch einmal, es spricht für den großen König David, dass er sich, einmal entlarvt durch das göttliche Wort der Wahrheit, nicht herauswindet und -schwindelt. Sondern er antwortet wahrheitsgemäß mit einem Satz, dem einzigen der möglich ist: "Ich habe gesüdigt gegen den HERRN." Da hatte er sich selbst erkannt. Da war es ihm wie Schuppen von den Augen gefallen. Da musste er in Demut zugeben, wie er in Selbstsucht sich in Ideen und Wünsche verrannt und sich selbst dabei verkannt hatte. Doch siehe, es war damals und wird zu keiner Zeit eine Niederlage sein, sich in seinen Fehlern durch die Wahrheit zurecht bringen zu lassen. Das ist die zweite Faustregel dieses Tages, dass Demut nicht Untergang, sondern Wendung zu neuem Leben bedeutet. David wurde das Leben geschenkt, weil er sich durch die Wahrheit wandeln ließ. Gottes Wort traf ihn schmerzlich, aber es wirkte Segen.
Lasst uns Gott bitten, dass er zu uns spreche und wir ihn hören, auf dass wir uns selbst erkennten, demütig würden, ja aus dem tödlichen Albtraum eines verlogenen Lebens gerissen würden. Denn aus dem Wort Gottes, das die eine, unwidersprechliche Wahrheit ist, werden wir das Leben gewinnen.