Andacht für Samstag, den 9. Mai 2020

"Der HERR, dein Gott, hat dich gesegnet in allen Werken deiner Hände." 5. Mose 2, 7

 

In meinen Studientagen hatte ich einen Kommilitonen, der zugespitzte Aussagen über alles Mögliche liebte. Einmal distanzierte er sich auf das entschiedenste von der Herrnhuter Losung. Das machte ihm Spaß. Es sei doch unerträglich, wie einzelne Verse aus dem Zusammenhang gerissen und ohne Kenntnis ihrer einstmals beabsichtigten Bedeutung nach Gutdünken ausgelegt und zurechtgebogen würden. "So nicht!", lautete sein abschließendes Urteil.

 

Offensichtlich teile ich es nicht komplett. Trotzdem musste ich heute daran denken. Ich weiß nicht, wer die Tageslosung in dieser Weise ausgesucht und in den Herrnhuter Lostopf geworfen hat, auf dass sie wieder gezogen würde. Aber der Kontext, in dem dieser Satz steht, ist doch nicht völlig zu vernachlässigen. Und warum wurde nur ein Teilsatz ausgewählt? Was ist mit dem nächst folgenden Satz, der mir viel schöner erscheint? Den hat der Losungs-Redakteur einfach weggekürzt! Sowas aber auch! Da brat' mir doch eener 'n Storch! (sagt unser Jüngster immer, wenn er sich künstlich aufregt).

 

Also, hier der Zusammenhang: Der Erzähler berichtet, wie das Volk Israel nach dem Auszug aus Ägypten durch das Land der Nachfahren Esaus ziehen soll. Es soll keinen Streit mit ihnen anfangen. Wasser und Nahrung soll es gegen Geld von den Einwohnern ehrlich erwerben. "Denn der HERR, dein Gott, hat dich gesegnet in allen Werken deiner Hände. Er hat dein Wandern durch diese große Wüste auf sein Herz genommen. Vierzig Jahre ist der HERR, dein Gott, bei dir gewesen. An nichts hast du Mangel gehabt." (so lautet der ganze Vers 7)

 

Unser Losungs-Satz bedeutet also: Volk, du hast es nicht nötig, Unrecht zu begehen und dich unlauter zu bereichern! Du brauchst auch nicht scheel auf das zu sehen, was dir nicht gehört. Hast du vergessen, dass deiner Hände Arbeit trotz allem gesegnet war in der Vergangenheit? Oder war es kein Segen, dass du heil durch jahrzehntelange Wanderung gekommen bist? Weißt du denn nicht, wer dich "auf sein Herz genommen" hat in dieser großen Wüste? Glaubst du nicht, dass du eine gute Zukunft haben wirst?

 

Wenn wir es so nehmen können, dann wird diese kleine Textpassage durchsichtig auf unsere Gegenwart hin. Ja, ich glaube, dass sich unser Leben ganz in diesen alten Geschichten bricht und wir Gott heute zu uns reden hören. Er hat uns ganz genauso "auf sein Herz genommen".

 

Natürlich wandern wir nicht buchstäblich durch den Wüstenstaub, wir leben schließlich in den festen Häusern einer schönen Stadt. Aber mühsam ist das Leben trotzdem. Die Angst, nicht ans Ziel zu kommen, kennen wir gut. Vergeblichkeitserfahrungen sind uns nicht fremd. Appetit nach den Happen der Fleischtöpfe Ägyptens befällt uns dann und wann auch ... In Summe: Wir sind dieselben Leutchen geblieben.

 

Darum sollen wir uns die Mahnung des Apostels Paulus ruhig gesagt sein lassen (für alle Fälle, damit wir nicht etwa auf dumme Gedanken kommen): "Nun fordert man nicht mehr von den Haushaltern, als dass sie für treu befunden werden." 1 Kor 4, 2

 

"Treu sein", ein altmodisches Wort. Fast vergessen, aber wichtig wie eh und je.

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019