Gedanken zur Tageslosung am Sonnabend, den 18. Juli 2020

von Pfarrer Dr. Friedrich Christoph Ilgner

Gott spricht: "Auch künftig bin ich derselbe, und niemand ist da, der aus meiner Hand erretten kann. Ich wirke; wer will's wenden?" Jes 43,13

 

In meiner DDR-Schulzeit wurden wir wider Willen mit der Doktrin des so genannten "Dialektischen Materialismus" im Sinne "der größten Söhne des deutschen Volkes, Marx und Engels" konfrontiert. Interessanterweise ist über ein neomarxistisch durchwirktes Achtundsechzigertum - mit einem hedonistischen Überzieher versehen - viel davon lustig in der Welt geblieben. Das ist drollig. Die sich durch diese Weltanschauung stellenden Fragen sind also auch nach dreißig Jahren noch aktuell.

 

Erinnern wir uns: Im Marxismus stellt die "Materie" die einzige Wirklichkeit dar, die sich ständig verändert. Das "Bewußtsein" ist sekundär, wandelbar und im strengen Sinne davon abhängig. "Wahrheit" ist folglich eine wandelbare Größe. Eine Gottesidee ist nur Entwicklungsprodukt einer niederen Entwicklungsstufe. Auch von einem menschlichen Gewissen als einer unbestechlichen Instanz in der Seele des Menschen, die gleich einem Maßstab anzeigt, was gut und böse ist, könne ernstlich nicht geredet werden. Denn es spiegele doch allenfalls einen wandelbaren gesellschaftlichen Zustand wider. Ein schlechtes Gewissen sei trügerisch und letztlich irrelevant. Die Zeit gehe über alles hinweg. Das Gewesene sei uneinholbar vorüber, vergessen, unbekannt, unbewusst, unwichtig und nichtig. Übrigens ist eine selektive Geschichtsschreibung, die nur rezipiert, was gerade gültigen Überzeugungen und Interessen dient, ein schöner Fingerzeig für solche Denkungsart. Dass dieses besserwisserische Sendungsbewusstsein nach eigener Lehre ebenfalls nur relativer Ausdruck eines vorläufigen Entwicklungsstandes sein könne, kommt den Damen und Herren nicht recht in den Sinn.

 

Wir wollen uns nicht in diesen Strudel der Auflösung und der Beliebigkeit begeben. Statt dessen wollen wir es mit Jesaja halten. Er stellt Gott als Herrn der Geschichte heraus. Er verkündigt ihn im strengen Sinne als Gegenüber. Der Herr der Geschichte geht nicht in die Geschichte ein als wandelbarer Teil derselben.

 

Dabei hat Jesaja genauso wenig wie wir das Walten Gottes mit uns Menschen durchschaut. Wie auch? Von äußerster Wichtigkeit blieb ihm aber, die Kontinuität des Wirkens Gottes von der Vergangenheit in alle Zukunft hinein festzuhalten. Es geht hier nicht ein Jota verloren. Unter dem Blickwinkel der Ewigkeit wird das Nacheinander ein Zugleich.

 

Einer meiner Lieblingsverse aus den Psalmen - ich habe ihn für eines meiner Kinder als Taufspruch ausgewählt - formuliert diesen Gedanken so: "Deine Augen sahen mich, da ich noch nicht bereitet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten und von denen keiner da war." (Ps 139,16)

 

Es ist ein unsinniger Selbstbetrug, durch das Leugnen des Gewesenen und ein selektives Vergessen-Wollen die Boshaftigkeiten, in die man verstrickt ist, loszuwerden. Es kann nicht gelingen, weil Gott Gott ist. Es bleibt uns in unserem Gewissen auch bewußt: "Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott." (Mi 6,8) Da mag sich jeder prüfen. Die Kirche kennt ein Heilsmittel. Sie lehrt nicht ein "Schwamm-drüber", sondern einen schmerzhaften, aber heilvollen, entlastenden geistlichen Weg. Er heißt Umkehr, Schuldbekenntnis und Vergebung. Nicht zuletzt darum ist die Kirche unverzichtbar notwendig in der Welt, für mich und dich. 

 

Darum verstehen wir es nicht als Drohung, sondern als Sieg der Gerechtigkeit für uns und die Welt, wenn der Apostel sagt: "Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi." 2 Kor 5,10

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019