"Der HERR sprach: Dazu habe ich Abraham auserkoren, dass er seinen Kindern befehle und seinem Hause nach ihm, dass sie des HERRN Wege halten und tun, was recht und gut ist." 1. Mose 18, 19
In einem Vortrag sprach die Religionsphilosophin Hanna Barbara Gerl-Falkovitz, die ich sehr verehre, einmal davon, wie wichtig es sei, dass wir unseren Vorfahren das Leben verdanken. Das ist natürlich unstrittig, ja völlig unbestreitbar. Aber dass das etwas bedeutet, das ist vielen heute nicht mehr klar.
Sie führte aus: Unsere Eltern haben uns das Leben geschenkt, ihnen wiederum unsere Großeltern und so weiter. Es handele sich also um ein unverfügbares Gut, dass wir ins Leben gebracht wurden. Von daher stünde uns auch eine entkoppelte Eigendisposition über unser Dasein nicht zu. Wir seien den Ahnen etwas schuldig.
In ihrem Vortrag fragt sie ihre Hörerschaft, rhetorisch ganz wunderbar: "Was sind wir denn den Ahnen schuldig?" Es folgt eine Pause. Niemand antwortet. Sie selbst antwortet in das Schweigen des Vortragssaales hinein: "Dass wir selbst Nachkommen haben, dass wir unseren Kinder das schenken, was uns geschenkt wurde. Dass, wenn möglich, der Strom des Lebens durch uns weitergehe, das sind wir den Ahnen schuldig."
Ist das nicht eine herrliche Formulierung: der "Strom des Lebens"? Und ist es nicht eine ganz großartige Einsicht, dass wir es sein dürfen, durch die dieser Strom hindurch weiterfließt in die Zukunft hinein?
Davon redet auch unsere Tageslosung, und zwar in einem umfassenden Sinn. Wir wissen ja, wie mühsam für Abraham - "den Vater der Vielen", der für die Völker ein Segen werden sollte - und Sarah, seine Frau, die Verheißung eines Sohnes werden sollte, ja wie Gott durch die geforderte "Bindung Isaaks" zum Sohnesopfer diese Verheißung bis in die Absurdität vorangetrieben hatte. Und doch war es sein Wille, dass der "Strom des Lebens" durch Abraham und Sarah hindurch in Zeit und Geschichte weiter und breiter fortfließen sollte.
Die Tageslosung redet, indem sie die Kinder Abrahams in den Blick nimmt, nicht von der biologischen Elternschaft. Sie redet vielmehr von der geistigen. Beides gehört zusammen. Kinder zu haben bedeutet, sie auch an den notwendigen geistigen Gütern teilhaben zu lassen. Es bedeutet, sie auf "des HERRN Wege" zu führen, damit, was sie tun, "recht und gut" werde.
Wir sind es ihnen schuldig, den geistigen "Strom des Lebens", der durch uns hindurch geht, auch durch sie weiterfließen zu lassen. Auch hier lauern viele Gefahren. Ich weiß es, weil ich selbst Vater bin und als Pfarrer 20 Jahre mit Konfirmanden zu tun hatte, oft mit Mühe und Not.
Ich weiß also, dass es nicht in unsere Macht gestellt ist, dass wir den "Strom des Lebens" aus eigenem Willen fortzwingen. Nein, das nicht. Aber dass wir unsere Pflicht tun, nicht nachlassen darin und uns nicht entmutigen lassen, den Geist Gottes um Hilfe zu bitten - daran erinnert uns die Tageslosung eben doch.
Wir sollen dies in Freiheit tun, nicht als Getriebene und Verzweifelte über unser eigenes Unvermögen, sondern mit der verwegenen Zuversicht, dass Heil und Leben Gott zu Gebot stehen, der versprochen hat, sie uns zu schenken:
"Befreit von der Sünde und in den Dienst Gottes gestellt, habt ihr die Frucht, die Heiligung schafft, und als Ziel ewiges Leben." Römer 6, 22