Das qualitative, nicht quantitative Himmelreich

„Geht und verkündet, das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.“ Mt. 10,7 So lautet der Monatsspruch für den August. Es ist ein Wort Jesu an seine Jünger. Als Monatsspruch richtet es sich an uns. Es ist ein merkwürdiges Wort. Es ruft auf, einen Weg zu beschreiten. Das Ziel steht aus, wirft aber seinen Glanz schon voraus.

Ist das „Himmelreich“ etwas, das mit Notwendigkeit herbeikommen wird, wenn die Zahl der Tage, die uns noch von ihm trennen, endlich verronnen sein werden? Dann wäre es eine Quantität, denn es müsste nur noch ein gewisses Quantum an Tagen ins Land gehen, so wäre es stracks da. Und in der Zeit bestünde es und alles wäre gut und ein Himmelreich auf Erden, angefüllt mit Wohlleben und Herrlichkeit.

Ich glaube, es gibt eine große Zahl von Leuten, die diesem Traumgespinst nachhängen. Die politischen Ideologien haben es immer gut gemeint, bis auf den heutigen Tag. Sie suchen das Heil zu bringen undfinden spielend ihre Jünger. Sie predigen: Jetzt ist dieZeit der Veränderung, jetzt muss ein Ruck durch das Volk gehen, wenn ihr uns jetzt machen lasst, wird alles besser oder gerechter oder lebenswerter oder bequemer oder heiler. Es endet immer im Fiasko. Es ist die Vorstellung einer Quantität, abzählbar und ausrechenbar. Ein quantitativ zu verwirklichendes Himmelreich auf Erden kommt leider mit der Miene autoritärer Arroganz daher und ist bloß eine kranke Schwärmerei.

Ich bin überzeugt, Christus hat das gewusst. Darum hat er dem Pilatus auch gesagt, dass sein Reich – und nichts anders ist das nahe herbeigekommene Himmelreich – nicht von dieser Welt sei. Es ist keine quantitative, sondern eine qualitative Größe. Das ist sehr gut. Es ist zeitlos und überideologisch. Das Evangelium ist keinesfalls mit einer politischen Agenda zu verwechseln. Es gibt keine parteipolitische Bindung vor. Es richtet sich an das Innere des sündigen Menschen, wie er ist.

Ganz unübertrefflich hat das Meister Eckhart (1260-1328) in einer Predigt auf den Punkt gebracht. Ichleihe mir seine Worte:

„... ihr müsst es verstehen mit Bezug auf die innere Welt. So wahr der Vater in seiner einfältigen Natur seinen Sohn natürlich gebiert, so wahr gebiert er ihn in des Geistes Innigstes, und dies ist die innere Welt. Hier ist Gottes Grund mein Grund und mein Grund Gottes Grund ... Wer in diesen Grund je nur einen Augenblick lang lugte, dem Menschen sind tausend Mark roten, geprägten Goldes soviel wie ein falscher Heller. Aus diesem innersten Grunde sollst du alle deine Werke wirken ohne Warum. Ichsage fürwahr: Solange du deine Werke wirkst umdes Himmelreiches oder um Gottes oder um deiner ewigen Seligkeit willen, also von außen her, so ist es wahrlich nicht recht um dich bestellt ... so tust du nicht anders, als ob du Gott nähmest, wändest ihm einen Mantel um das Haupt und schöbest ihn unter eine Bank. Denn wer Gott in einer bestimmten Weise sucht, der nimmt die Weise und verfehlt Gott, der in der Weise verborgen ist. Wer aber Gott ohne Weise sucht, der erfasst ihn, wie er in sich selbst ist; und ein solcher Mensch lebt mit dem Sohne, under ist das Leben selbst.“

aus Predigt 6 in: MeisterEckhart, Deutsche Predigten und Traktate, Zürich 1979, S. 179f.

Gott verleihe uns eine solche Erkenntnis seines Sohnes und seines Himmelreiches.

In herzlicher Verbundenheit grüßt Sie

Ihr Pfarrer Ilgner

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche August 2019