Predigt am 1. Advent 2022, Off 3,14-22

von Pfarrer Dr. Friedrich Christoph Ilgner

 Predigt am 1. Advent 2022, Off 3,14-22

 

14 Und dem Engel der Gemeinde zu Laodicea schreibe: Das saget Amen, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Kreatur Gottes: 

15 Ich weiß deine Werke, daß du weder kalt noch warm bist. Ach, daß du kalt oder warm wärest! 

16 Weil du aber lau bist und weder kalt noch warm, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde. 

17 Du sprichst: Ich bin reich und habe gar satt und bedarf nichts, und weißt nicht, daß du bist elend und jämmerlich, arm, blind und bloß. 

18 Ich rate dir, daß du Gold von mir kaufest, das mit Feuer durchläutert ist, daß du reich werdest, und weiße Kleider, daß du dich antust, und nicht offenbaret werde die Schande deiner Blöße; und salbe deine Augen mit Augensalbe, daß du sehen mögest. 

19 Welche ich liebhabe, die strafe und züchtige ich. So sei nun fleißig und tu Buße! 

20 Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. So jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich eingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir. 

21 Wer überwindet, dem will ich geben, mit mir auf meinem Stuhl zu sitzen; wie ich überwunden habe und bin gesessen mit meinem Vater auf seinem Stuhl. 

22 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt! 

 

Freiheit - oder Sicherheit? Vor einiger Zeit erzählte mir einer der Konfirmanden, dass seine Schulklasse von einer Lehrerin gefragt worden sei, was man eher wählen würde: Freiheit - oder Sicherheit. Alle Schüler hätten bei "Sicherheit" die Hand gehoben, außer zwei. Ich fragte zurück: Und was hast du gewählt? Er antwortete: Natürlich die "Freiheit". Das hat mir gut gefallen, das ist klar. Zugleich habe ich gedacht, dass, wenn er es wirklich ernst meint, er das schwerere Teil erwählt hat. Es wird ihn Entbehrung, Zurücksetzung und Anfechtung kosten. Aber dieses Vorhaben ist überaus ehrenvoll. Ich wünschte, es fänden sich mehr Leute von solch festem Charakter.

 

Die Kirche hat dieses sog. Siebente Sendschreiben aus der Offenbarung des Johannes ausgewählt als Text zum 1. Advent. Der Grund dafür ist bestimmt die Rede von Christus, der an die Tür klopft, um eingelassen zu werden. Das ist etwas kurios, denn die Christenheit von Laodizea dachte bestimmt, Christus wäre schon längst bei ihr. Nun hören sie aus seinem eigenen Munde, dass das offensichtlich nicht der Fall ist. Wie das? Sie glaubten sich seiner sicher.

 

Dieser Brief ist von entlarvender Schärfe. Christus haut der Christenheit von Laodizea ihr sattes, gemächliches, laues, egoistisches, ganz auf Sicherheit gestelltes Leben um die Ohren, dass es nur so schallt und knallt. Der Brief ist feinsinnig verfasst. Die Gelehrten des Neuen Testaments haben ein wenig die Hintergründe erhellt. Es klingen die wunden Punkte an, die direkt auf die Leute von Laodizea gemünzt sind. Diese waren scheinbar umtriebig und begabt im Geldmachen. So sagte man ihnen nach, sie hätten es sich leisten können, die Stad, nachdem sie vom Erdbeben verwüstet worden war, aus eigener Kraft wieder aufzubauen. Darauf zielt die Redensart: " Du sprichst: Ich bin reich und habe gar satt und bedarf nichts ..."

 

Woher stammte das Gold und Geld dieser Leute? Man handelte  mit feiner Wolle, edlen Stoffen und prächtigen Färbemitteln. Auch in der Pharma-Industrie war man gut dabei. Denn man exportierte mit Erfolg die "Phrygischen Mixtur", eine wahren Wundermedizin gegen Augenleiden. Was will man mehr als Wohlstand? Den meisten Leuten genügt das vollauf.

 

Das siebente Sendschreiben steckt voll bitterer Ironie. Es bietet eine dreifache Entlarvung der Sicherheit, in der die Leute sich wiegen. Es sagt: Zwar schwimmst du im Gelde, bist aber arm, nämlich im Geist. Darum empfiehlt es ironisch: kaufe unvergängliches, geläutertes Gold! Es sagt weiter: Zwar handelst du mit edlen Stoffen im großen Stil, bist aber dennoch nackt und bloß. Bedecke deine Blöße mit einem schlichten, weißen Gewand. Und schließlich: Zwar fabrizierst du berühmte Augenmedikamente, bist aber in Wahrheit blind für das Wichtigste der Welt. Du solltest eine bessere Augensalbe nutzen, nämlich eine, die dich sehen macht.

 

Mit einem Wort: du bist " elend und jämmerlich, arm, blind und bloß". Du bist gefangen in Sicherheit, Überfluss und Gesundheitskult. Es gibt also Kräfte, die Christus hinausdrängen aus dem Leben. Es ist gut, sich von Zeit zu Zeit die Frage zu stellen, ob Christus in unserem Leben und Alltag überhaupt noch zu finden ist - oder ob wir ihn nicht längst hinausgedrängt haben. Die ironische Zuspitzung des siebenten Sendschreibens macht darüber hinaus auf eine Paradoxie aufmerksam: Kann es sein, dass gerade das, was uns im Leben besonders gut gelingt, worin wir wirklich begabt und erfolgreich sind, eine Übermacht entfaltet, die Gott hinausdrängt? Dann wäre auch die absichernde Betriebsamkeit, die wir  landläufig meinen erstreben zu müssen, zu einer äußerst bedrohlichen Anfechtung geworden. Es bedürfte einer Befreiung von ihrer Übermacht, damit das Wirken Gottes in uns wieder Raum hätte.

 

Wer spricht in diesem Sendschreiben? Wer ist das "ich", das hier redet? Es ist nicht Johannes, der Verfasser der Offenbarung. Er ist nur das Mittel. Es spricht der Geist Jesu, des Auferstandenen und Erhöhten. Das ist wichtig zu wissen.

 

Liebe Freunde, der Grund, warum wir uns überhaupt heute früh treffen, warum es die Kirche gibt, warum wir heute mit dem 1. Advent in die vielleicht schönste Zeit des Jahres eintreten, ist, dass Christus vor der Tür steht und anklopft. Haben ihn hinausgedrängt durch tausend Vorläufigkeiten? Es gehört zu den besonders verheerenden Anfechtungen der Gegenwart, dass es mittlerweile sogar der Kirche schwer fällt, an Christus, den Lebendigen, zu glauben. Alle hektische Betriebsamkeit und Eigenliebe und der schreckliche, scheinbar unausrottbare Weltrettungsaktivismus gründen in diesem Unglauben. Der Unglaube aber nötigt, entmündigt und nimmt uns die Freiheit. Was für ein elendes Leben.

 

Nun, Christus gibt uns jedenfalls nicht auf. Das beweist das siebente Sendschreiben der Offenbarung, in dem es heißt, dass er vor der Tür steht und klopft und ruft. Wir wollten, dass er bei uns wäre und somit Gott lebendiger Bestandteil unseres Lebens. Hüten wir uns davor, diesen Wunsch nur als fromme Redensart zu nehmen. Denn es hängt viel daran.

 

Ich halte dafür, dass, lassen wir ihn ein, wir die Freiheit zurück gewinnen von all den eingebildeten Sicherheiten, die sich bei genauerem Hinsehen als äußerst brüchig und vorläufig erweisen müssen. "Wenn euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr wirklich frei." (Joh 8,36) Was wählen wir hier?

 

Natürlich Freiheit.

 

Im übrigen glaube ich, dass die Völker Europas nur eine Zukunft haben werden, wenn sie sich von Christus zur Freiheit befreien lassen.

 

Quelle
Gemeindebrief Christuskirche Mai 2019